Amazon: Wie zukunftsfähig ist Hypereffizienz als strategisches Modell?

Amazon kommt aus den Negativschlagzeilen nicht heraus. Der Arbeitskampf in den deutschen Logistikzentren des Online-Händlers weitet sich vermutlich in nächster Zeit noch aus. Verdi-Sekretär Thomas Schneider ließ verlauten, dass seine Gewerkschaft offen für eine Internationalisierung der Auseinandersetzung ist. Mit seinen polnischen und tschechischen Kollegen gab es dazu bereits Gespräche. Anfang Februar 2014 haben auch in den französischen Versandzentren von Amazon die ersten Streiks begonnen.

Standortunabhängig protestieren die Amazon-Mitarbeiter gegen die immer gleichen Übel: Niedrige Löhne, permanente Überwachung und immenser Arbeitsdruck. Firmengründer Jeff Bezos hat mit Amazon ein Effizienz-Imperium geschaffen, in dem der Mensch nur als Rädchen im Getriebe vorkommt und nach Bezos‘ Willen der Kunde Imperator ist. Wer in dieser Turbo-Taktung nicht funktioniert, wird aussortiert und abgeschrieben. Bezos selbst gilt als einer der 20 reichsten Menschen der Welt – zu seinem Führungsstil soll er einmal geäußert haben, dass ein Teil der Firmenkultur auch vom Werdegang des Gründers abhängt. Sein persönliches Credo zielt dementsprechend auf Höchstleistungen, Effizienz und absolute Disziplin – der Amazon-Chef ist aus kleinen Verhältnissen und aus eigener Kraft in die globale Premium-Liga aufgestiegen. Die Kehrseite von Jeff Bezos‘ Leistungsethik: Statt Klimaanlagen gab es vor noch nicht allzu langer Zeit in den heißen Lagerhallen Rettungswagen, falls Mitarbeiter kollabierten.

‚Relentless‘ – auch im Hinblick auf den Mitarbeiter bei Amazon Programm

Gegen Kritik ist Bezos, der sein Unternehmen eigentlich unter dem Namen ‚Relentless‘ (gnadenlos) firmieren lassen wollte, weitestgehend immun. Sein oberstes Prinzip heißt Wettbewerb, in dem er sich als Sieger sieht. Konkurrenten werden notfalls mit gnadenlosen Mitteln ausgeschaltet, Lieferanten müssen mit Knebelverträgen rechnen. Die Mitarbeiter in den Amazon-Logistikzentren erwartet einmal wöchentlich die Diskussion der sogenannten Leistungskurve: Die Arbeitsleistung jedes einzelnen wird penibel überwacht und in Wochenintervallen ausgewertet – wer die sehr anspruchsvolle Norm nicht schafft, darf auf der Stelle gehen. Auch Mitarbeiter in höheren Ebenen der Hierarchie werden durch das Amazon-System nicht geschont. Zu ihrem Alltag gehören lange Arbeitszeiten ebenso wie fiese Sprüche aus der Chefetage. Für Manager gilt ein Rotationsprinzip – von Zeit zu Zeit kommen sie an der Telefon-Hotline in direkten Kontakt zu ihren Kunden. Bei Besprechungen wird angeblich zum Teil ein Stuhl für den imaginären Kunden freigehalten.

Jeff Bezos‘ Führungsstil polarisiert extrem – im Management von Amazon ebenso wie bei den Arbeitern in den Logistikzentren. Die Fluktuation im Mittelbau ist groß. Wer bleibt, gehört dafür zu einem eingeschworenen Team, das sich von Bezos durchaus inspiriert fühlt, allerdings auch nicht davor gefeit ist, dass er guten Leuten – in den Worten eines seiner Manager – ‚auf den Rücken springt‘ und sie dann ‚zuschanden reitet‘. Für viele Mitarbeiter vor Ort ist Amazon wegen eines Wohnortes in strukturschwachen Regionen, vor allem aber wegen Berufsbiografien, die für potentielle Arbeitgeber wenig attraktiv sind, die einzige Möglichkeit, überhaupt an einen Arbeitsplatz zu kommen. Für die Gewerkschaften und auch für Journalisten, welche die Arbeitsbedingungen bei Amazon ‚getestet‘ haben, sind sie ein Ausbeutungssystem, das seinesgleichen sucht.

Hypereffizienz ignoriert das kreative Potential der Mitarbeiter

Auf lange Sicht könnten die Aktionäre sowie Imperator Kunde die Entscheidung treffen, inwiefern das Geschäfts- und auch das Führungsmodell von Amazon wirklich zukunftsfähig sind. Im Weihnachtsgeschäft 2013 sind die Umsätze des Unternehmens weniger stark gewachsen als erwartet. Die Amazon-Aktie reagierte darauf mit einem spürbaren Kursverfall. In Deutschland – für Amazon der zweitwichtigste Markt nach den USA – gibt es derzeit Streit über gelöschte Kundenkonten wegen einer für das Unternehmen nicht mehr akzeptablen Anzahl von Retouren, was möglicherweise zu juristischen Schritten führen wird. In den USA steht außerdem zur Debatte, ob Amazon sein im Vergleich zum Einzelhandel extrem niedriges Preisniveau angesichts des Erfolgs des Amazon-Prime-Programms und gestiegener Lieferkosten auch in Zukunft halten kann.

Aus verschiedenen Studien wissen wir, dass europäische Kunden zwar durchaus im Online-Handel shoppen, sich komplementär dazu vom klassischen Einzelhandel individuelle Angebote, persönliche Kommunikation sowie exzellenten Service und Beratung wünschen. Bei Amazon sind auch die Käufer de facto ein – wenn auch wichtiger und hofierter – Bestandteil einer gigantischen Effizienzmaschine. Nicht alle Kunden goutieren jedoch Amazons personalisierten Online-Service, der vor allem darauf aus ist, immer neue Kaufbedürfnisse zu wecken. Auch Bezos‘ Sicht auf Mitarbeiter als hypereffiziente Arbeitssklaven stößt zumindest hierzulande nur sehr bedingt auf Gegenliebe. Führung, die ausschließlich auf die Maximierung von Effizienz gerichtet ist und dafür recht elementare menschliche Bedürfnisse – nach Autonomie, nach Wertschätzung und Anerkennung, nach echter Kollaboration mit Vorgesetzten und Kollegen – außer Acht lässt, ignoriert das kreative Potential der Mitarbeiter und setzt damit wichtige Produktivitätsfaktoren willkürlich außer Kraft.

Fazit:

  • Unternehmen ohne menschliche Vision und einer entsprechende Führungskultur können kurz- und mittelfristig sehr erfolgreich sein – ihre Zukunftsfähigkeit ist möglicherweise jedoch recht begrenzt.
  • Führung, die ausschließlich auf Effizienz gerichtet ist, ignoriert und zerstört das kreative Potenzial von Mitarbeitern.
  • Anerkennung, Wertschätzung und menschlich positive Führung schaffen Raum für die Entwicklung von Fähigkeiten, Motivation und Eigenverantwortung jedes einzelnen Mitarbeiters – für Ihr Unternehmen liegt hier eine der wichtigsten Produktivitätsressourcen überhaupt.

Quellen:
„Stern“, No. 51/2013, Haben Wollen – Wie Amazon unsere Weihnachtswünsche erfüllt.
http://www.golem.de/news/blockade-streik-auch-bei-amazon-frankreich-1402-104447.html
http://www.heise.de/newsticker/meldung/Kontokuendigung-bei-Amazon-wegen-vieler-Retouren-Rechtliche-Hintergruende-und-Auswirkungen-2104904.html
http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/amazon-gruender-jeff-bezos-der-besessene-1.1804565
http://www.bild.de/geld/wirtschaft/amazon/neun-lebensweisheiten-von-amazon-chef-jeff-bezos-32962294.bild.html
http://www.fr-online.de/wirtschaft/jeff-bezos-amazon-chef–weltraum-traeumer–zeitungsbesitzer,1472780,23927316.html
http://www.br.de/radio/bayern2/sendungen/zuendfunk/netz-kultur/netz/amazon-weihnachten-100.html
http://www.welt.de/print/die_welt/wirtschaft/article124437675/Amazon-ging-zu-Weihnachten-etwas-die-Puste-aus.html
http://www.boerse-online.de/nachrichten/aktien/Amazon-warnt-vor-Verlust—Aktie-bricht-10-Prozent-ein-851264