Die Harvard-Illusion von der Win-Win-Verhandlungsstrategie

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Erfolgreich Verhandlungen führen MIT Emotionen statt ohne

Es ist noch gar nicht lange her, da haben wir den großen Haushaltsstreit in den USA erlebt. Ein Streit immerhin, der das globale Wirtschaftssystem beeinflusste und den Beteiligten, ersten Schätzungen zufolge, die stolze Summe von 24 Milliarden US-Dollar an volkswirtschaftlichem Schaden wert war. War eine derart teure Eskalationsspirale nötig?

Wir wollen an dieser Stelle aber gar nicht auf die inhaltlichen Positionen der Streitenden – mit anderen Worten: der Verhandlungsgegner – eingehen. Warum war es, ausgerechnet im Stammland der Win-Win-Strategie à la Harvard, dem Mekka des „sachgerechten Verhandelns“, nicht möglich, einen für beide Seiten akzeptablen Interessensausgleich zu organisieren? Weiter stellt sich die Frage: wann, wenn nicht in einem so drastischen Fall, zeigt sich die Leistungsfähigkeit einer Verhandlungsstrategie?

Mit höchster Wahrscheinlichkeit wurde das Harvard-Konzept im gesamten Konflikt nicht angewendet – sei es, weil sie intuitiv als ungeeignet erschien, oder aber, weil Fehler gemacht wurden, die die Anwendung der Strategie nicht mehr zuließen. Diese Feststellung nimmt sie aber keineswegs in Schutz – im Gegenteil: es ist vielmehr Ausdruck des viel zu eng gefassten und theoretischen Anwendungsbereiches.

Die Schwächen des Harvard-Konzepts

Die Crux der Strategie liegt in den zahlreichen expliziten und impliziten Voraussetzungen.

  1. Sie unterstellt, dass sich die Teilnehmer frei von ihren Emotionen und persönlichen Befindlichkeiten machen können, um sachgerecht zu verhandeln.
  2. Sie ist nicht anwendbar, wenn beide Verhandlungsseiten aus unvereinbaren (oft dogmatischen) Positionen heraus agieren. Eine sachliche Win-Win-Konstellation ist dann schlichtweg nicht vorhanden.
  3. Sie unterstellt, dass alle Verhandlungsteilnehmer sich gegenseitig über ihre wahren Interessen (die Hintergründe ihrer Position) austauschen. Gerade im Wirtschaftsleben erscheint es wenig plausibel, dass sich die Teilnehmer derart offenbaren.
  4. Sie setzt voraus, dass beide Parteien etwa auf einer Augenhöhe verhandeln, also keine großen Machtunterschiede im Spiel sind, die die Verhandlung beeinflussen.
  5. Sie operiert in der Regel mit nur zwei Verhandlungsparteien, deren Rollen klar vorgegeben sind. Je mehr Teilnehmer eine Verhandlung hat, deren Haltung womöglich noch unklar ist, desto schwieriger wird sie darstellbar.
  6. Sie unterstellt, dass sich beide Seiten einig sind, zu wessen Lasten der jeweilige ‚Win-Anteil’ gehen soll.

Das Harvard-Konzept ist nicht falsch, aber unbrauchbar!

Kurz und gut: das Harvard-Konzept ist nicht falsch, aber in Anbetracht Ihrer vielen Prämissen nur in Laborsituationen anwendbar und für reale Verhandlungen unter Menschen mit Emotionen unbrauchbar.

Keine Verhandlung ohne Strategie

Wenn nun diese Form des Win-Win nicht funktioniert, daraus zu schlussfolgern, ohne Konzept in die Verhandlung zu gehen, ist ebenso gefahrenbehaftet. Denn unsere Erfahrung zeigt, dass dabei intuitiv viele Fehler gemacht werden.

Am häufigsten ist der Mangel an Empathie. Der Versuch, die eigene Argumentation rein auf Zahlen, Daten und Fakten abzustützen, ist typisch dafür. Doch ohne sich in die Situation des Gegenübers zu versetzen, wird man sich schwerlich über dessen Verhandlungsziele klar.

Auch wird gerne am Anfang einer Verhandlung das ganze Pulver an vermeintlich schlagkräftigen Beweismaterial verschossen, ohne sich bewusst zu sein, dass man dem Gegenüber sprichwörtlich die Pistole auf die Brust setzt: der klassische Beginn sich verhärtender Verhandlungsfronten. Darauf folgt oft das ‚Verbeißen’, man reibt sich am größten Widersacher bzw. am Punkt des größten Widerstandes auf.

Am Ende der Argumentation stehen dann oft die Varianten ‚Sieg des einen, Untergang des anderen’, ‚Erpressung’ oder der ‚faule Kompromiss’.

Ein praxisorientiertes Verhandlungskonzept berücksichtigt die ‚menschlichen’ Faktoren. Es soll nach wie vor ein Win-Win angestrebt werden, nur beschränkt es sich im Gegensatz zum Harvard-Konzept nicht nur auf die sachliche Ebene. Im Gegenteil, Gefühle und Emotionen sind ansteckend und können deshalb hervorragend dazu genutzt werden, den Verhandlungspartner zu überzeugen – wenn sie bewusst eingesetzt werden.

Bewusster Einsatz von Emotionen

Die Überzeugungstransfer-Dialektik gibt hierzu hilfreiche Impulse und führt uns zum Grundgedanken von ‚Emotion vor Ratio’. Das bedeutet für den Verhandelnden, nicht nur Argumente zu verkaufen, sondern auch die Geschichte dazu. Eine Geschichte mit Dramaturgie, die einen Gewinn, einen Mehrwert, einen Nutzen beinhaltet und die man richtiggehend ‚fühlen’ kann. Die gute Geschichte fängt übrigens schon mit vermeintlich banalen Dingen wie der richtigen (nicht zwangsläufig positiven) Verhandlungsatmosphäre an. Berücksichtigen Sie Befindlichkeiten des Gegenübers! Zeigen Sie Achtung! Erzeugen Sie Betroffenheit, ohne Macht zu demonstrieren oder auf die ‚Tränendrüse zu drücken’. Betrachten Sie den Gegenüber als Verhandlungspartner und nicht als Verhandlungsgegner.

Natürlich darf auch die sachliche Seite nicht außer Acht gelassen werden. Hier gilt vor allem: bauen Sie die Argumentationskette stringent auf und machen Sie sie zum Teil Ihrer Dramaturgie. Wie könnten Verhandlungsziele und –taktiken des anderen aussehen? Legen Sie sich Argumente zurecht, um Einwürfen und Einwänden zu begegnen – oder nehmen Sie sie sogar im Gespräch vorweg.

Sie werden unschwer erkennen, eine gute Vorbereitung ist elementar wichtig für den Erfolg. Bei größeren Verhandlungsrunden ist dann noch die Frage wichtig: wer ist auf meiner Seite, wer ist gegen mich und wer ist in seiner Haltung unentschlossen?

Die Liste an Do’s und Don’ts ließe sich noch eine ganze Weile fortführen. Deshalb ist die Verhandlungstechnik ja auch die Königsdisziplin in der Gesprächsführung – und zwar jenseits des Harvard-Konzepts.

Die gute Nachricht: Verhandlungsgeschick ist nicht nur eine Frage des Talents! Es braucht Wissen, Strategie und vor allem viel Übung!

Sie fragen sich vielleicht noch: Wo lag der zentrale Fehler im USA-Beispiel?

Ursprung der Eskalation war, sich gegenseitig sofort mit den Forderungen zu konfrontieren. Das fühlte sich für den politischen Gegner freilich wie ein Affront an. Man hatte sich also in eine Situation manövriert, in der der Gesichtsverlust für denjenigen, der zuerst zurückweicht, vorprogrammiert war.