Emotion vor Ratio in der Kundenbindung
oder: Warum reines Marketing nicht zu loyalen Kunden führt
Einzelhandel heute bedeutet: Scharfer Konkurrenzdruck aus der virtuellen Welt ebenso wie von stationären Wettbewerbern, niedrige Margen und die Entwicklung immer neuer Marketing-Ideen, um neue Kunden zu generieren und zu halten. Viele Handelsunternehmen betrachten kampagnengebundene Kundenbindung als den Königsweg zu loyalen Kunden. Rabattaktionen, Treueprämien und andere Instrumente gibt es heute wie Sand am Meer. Dem „treuen“ Kunden suggerieren sie, dass er für das Unternehmen König ist und davon einen Vorteil hat, der in Cent und Euro messbar ist.
Das Gegenbild dazu ist eine Einkaufszone in einer bundesdeutschen Innenstadt an einem Samstagvormittag. Dass die meisten Menschen, die dort unterwegs sind, Lust auf Shoppen haben, liegt auf der Hand – aus einem anderen Grund würden sie den Trubel an ihrem freien Tag wohl kaum ertragen wollen. Fluktuationsprobleme haben die meisten Läden in solchen Lagen de facto nicht – und zwar sowohl mit oder ohne formales Programm zur Kundenbindung. Der Aufwand für die diversen Loyality-Aktionen und exzessives Marketing rechnen sich vor diesem Hintergrund für viele Händler gar nicht, die aber trotzdem an das strikte WAS – respektive die Wirksamkeit industriell skalierbarer Prozesse zur Kundenbindung glauben. Die andere Frage ist, WIE diese Kunden in den Geschäften tatsächlich behandelt werden. „Kundenorientierung“ bedeutet in der Praxis oft, dass das Personal – wenn überhaupt – einem potentiellen Käufer einen Köder vorhält. Falls dieser anbeißt, ist der Verkaufsakt damit abgeschlossen. Nicht umsonst gilt Deutschland vielen auch heute noch als „Service-Wüste“. Wir halten dagegen, dass erfolgreiches Verkaufen ein Prozess ist, in dem die handelnden Personen als Partner aufeinander treffen, der Kunde menschlich ernstgenommen wird und Emotion vor Ratio geht.
Emotionen als Tool fürs Marketing?
Lassen wir zunächst die Experten für effiziente Kundenbindung sprechen: TCC – The Continuity Company – bezeichnet sich selbst als den weltweit führenden Anbieter entsprechender Programme. Die Düsseldorfer Dependance des Unternehmens legt jährlich 40 bis 50 Kampagnen für Einzelhandelsketten wie Edeka, Rewe, Kaiser´s oder Penny auf. In einem Gespräch mit der „Lebensmittelzeitung“ plädierten CEO Michael Ioakimides und Deutschland-Chef Jörg Croseck für eine emotionale „Ansprache“ von Einzelhandels-Kunden als wirkungsvolles Instrument für Marketing und Kundenbindung. Im Kern geht es dabei allerdings um einen sehr rational definierten Ansatz: Kundenbindung basiert auf attraktiven Treue- und Rabattaktionen – mit dem Trend zum Gratisangebot. In welchem Maß dabei echte Emotionen eine Rolle spielen, sei einmal dahingestellt. Bei Aktionen wie den „Plüsch-Vitaminen“ für Penny, bei denen es für 99 Cent als Treueprämie ein hochwertiges Plüschtier im Wert von 14,95 Euro gab, setzen die Initiatoren klar darauf, dass der Kunde rechnen kann, sich über das Spielzeug für die Kinder freut und der Handelskette deshalb vielleicht auch morgen noch die Treue hält.
Im Hinblick auf Investitionen in eine so oder ähnlich definierte Kundenbindung ist Deutschland mit Umsätzen von bis zu 500 Millionen Euro inzwischen weltweit einer der größten Märkte überhaupt. Ioakimides und Croseck betrachten sie als entscheidendes Instrument für die Differenzierung gegenüber anderen Wettbewerbern – übrigens zur Potenzierung des Effekts nicht nur im stationären Handel, sondern – Stichwort: Social Media – auch im Internet, sprechen damit allerdings ausdrücklich nicht den individuellen Kunden, sondern „die breite Masse der Shopper“ an.
Emotionale Kundenbindung – durch Beratung, Kommunikation und individuellen Service
Das Problem dabei: Eine nachhaltige Kundenbindung ergibt sich aus diesem Ansatz nicht. Wenn morgen eine andere Handelskette eine attraktive Aktion lanciert, transferiert der Kunde – sofern überhaupt Promotion-affin, was längst nicht selbstverständlich ist – sein Interesse auf das neue Angebot und treibt damit die Umsätze des nächsten Unternehmens. In den Bilanzen machen sich solche temporären Umsatzschübe sicher gut, eine tragfähige emotionale Bindung des Kunden an ein Handelsunternehmen ist damit nicht verbunden.
Emotion geht vor Ratio bedeutet aus unserer Sicht nicht, den Kunden durch ein vordergründig emotionales Marketing zum Kauf zu motivieren – oder auch zu manipulieren – sondern dass er mit seinen Bedürfnissen, Interessen und „Problemen“ tatsächlich ernst genommen wird. Selbst eine erfolgreiche Aktion liefert ihm zunächst nur Standards, in dem er als Persönlichkeit keine Rolle spielt. Eine echte emotionale Bindung baut sich auf, wenn Verkäufer lernen, sich als „Anwalt des Kunden“ zu begreifen. Dazu gehören persönliche Beratung, Informationen über zusätzliche Produkt- und Serviceangebote, die den geplanten Kauf optimal ergänzen können, aber auch eine Kommunikation, die nicht bei in Verkaufs-Trainings gelernten Techniken und Floskeln, sondern bei der realen Person des Käufers ansetzt. Kunden, die im Einzelhandel so behandelt und beraten werden, kommen nicht nur gern für einen nächsten Einkauf wieder, sondern empfehlen das konkrete Geschäft oft auch mehr als einmal weiter.
Praxistipps:
- Gutes Verkaufen bedeutet nicht, dass Sie Ihre Kunden „fangen“, „ködern“ und damit auch manipulieren müssen.
- Eine emotional vermittelte und konkrete Kundenbindung stellt sich her, wenn sich Ihre Kunden durch Beratung, individuelle Kommunikation und maßgeschneiderten Service verstanden, ernstgenommen und gut aufgehoben fühlen.
- „Analytisches Verkaufen“ bedeutet, die Bedürfnisse eines konkreten Kunden zu erkennen und auf individuelle Weise zu erfüllen.
- Formale Kundenbindungsprogramme und Marketing können diesen Prozess effektiv flankieren, spielen darin jedoch nicht die zentrale Rolle – diese kommt immer und ausschließlich Ihren Kunden zu.
Quellen:
Dr. Thorsten Bosch AG: P10
Lebensmittelzeitung, „Hinein in die Emotionen“
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