Führung – Haupt- oder Nebenrolle im Unternehmen

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Führung in einer veränderten Welt – wie wir auf veränderte Bedingungen in unserer Führungskultur reagieren können

Wir leben in einer Zeit der andauernden Veränderung. Die digitale Revolution hat unsere Welt und unsere Wahrnehmung der Welt nachhaltig modifiziert und gleichzeitig zu einer rasanten Beschleunigung des Alltags beigetragen. Früher benötigte eine Postkutsche mehrere Tage, um Informationen von einem Ort zum nächsten zu bringen. Heute werden innerhalb von Sekunden Informationen ausgetauscht und darauf basierend Entscheidungen getroffen.

Die industrielle Revolution veränderte unsere Lebenswelt

Bis ins 19. Jahrhundert hinein bestand der Alltag der meisten Menschen aus dem ewig gleichen Procedere: Der Bauer erledigte über Jahrzehnte die immer gleichen, wiederkehrenden Arbeiten. Er stand zum gleichen Zeitpunkt auf, nahm zum gleichen Zeitpunkt sein Frühstücksbrot in die Hand und mähte zur gleichen Jahreszeit seine Wiesen. Die großen Veränderungen wurden angestoßen von Naturkatastrophen wie Stürmen oder technischen Neuerungen wie der Erfindung des ‚Lanz Bulldogs’. Heute – nur knapp zwei Jahrhunderte später – muss zumindest der Großstadtbewohner bereits vor dem Frühstück eine Vielzahl an Entscheidungen treffen: Fährt er mit dem Auto? Gibt es Stau oder kommt er schnell durch? Bleibt die junge Frau an der Fußgängerampel wirklich stehen? Bestätigt er den Termin mit dem Vertreter der Lebensversicherung? Ist er im Büro angekommen, erreichen ihn Anrufe, E-Mails, SMS und Fax-Nachrichten. Er muss Prioritäten setzen, die Informationsflut strukturieren und seine Entscheidungsfindung anpassen.

Auch wenn es keinen Grund für Schwarzseherei gibt, so ist es doch enorm wichtig für die Zukunft unserer Wirtschaft, sich mit den zunehmenden Veränderungen intensiv auseinanderzusetzen. Ansonsten kann es sehr gut sein, dass ein Großteil der Unternehmen, die wir heute noch als die wichtigsten Grundpfeiler unserer deutschen Industrie kennen, die Veränderungen nicht überlebt.

Den Entwicklungen der letzten Jahre nach zu urteilen, findet auch in den Wissenschaften eine immer schnellere Weiterentwicklung statt. In naher Zukunft werden z.B. unsere Computer auf Basis von cyber-physischen Systemen arbeiten, was zu einer für uns heute noch undenkbaren Beschleunigung aller Programme führen wird.

Was bedeutet das für den Menschen?

Das führt zu ganz neuen Anforderungen an den Alltag jedes Menschen. Er muss lernen, schneller zu reagieren, flexibel zu bleiben – es könnte sich in den nächsten Minuten gleich wieder etwas verändern – und vor allem entscheidungsfreudig zu sein.

Menschen sind die anpassungsfähigsten Lebewesen dieses Planeten. Unsere Denkstrukturen erlauben uns, uns innerhalb von kürzesten Zeiträumen an neue Begebenheiten zu adaptieren. Dachte man Mitte des 19. Jahrhunderts noch, dass der Mensch eine Eisenbahnfahrt mit mehr als 30 km/h Geschwindigkeit nicht überleben würde, können wir nur kurze Zeit später bereits eine – zugegebenermaßen sehr teure – Reise zum touristisch noch nicht erschlossenen Mond antreten. Ein anderes Beispiel: Jugendliche gehen heute bereits viel selbstverständlicher mit sozialen Netzwerken um als die Generation 30+. Letztere bekommen ihr Wertesystem noch nicht mit den aus dem Nichts sprießenden Kommunikationsmöglichkeiten unter einen Hut. Aber ich bin sicher: Wir werden uns auch an schnellere Computer, Hologramme und künstliche Intelligenz anzupassen wissen.

Und was heißt das im unternehmerischen Kontext?

Diese 4. industrielle Revolution wird zu einer rasanten Entwicklung in Unternehmen führen. Der ohnehin schon schnelle Alltag wird sich weiter beschleunigen. Entscheidungen, die über Prosperität oder Niedergang eines Unternehmens entscheiden können, müssen im Sekundentakt getroffen werden. Unternehmensziele verändern sich in kürzeren Zeitabständen, um mit dem ‚Change’ der freien Wirtschaft mithalten zu können. Manager in den oberen Hierarchien werden an der Last der Verantwortung noch schwerer zu tragen haben. Sie müssen noch schneller antizipieren, welche Prozesse welche Folgen haben und inwieweit sie diese beeinflussen können. Und sie müssen schließlich noch mehr Strukturierungsarbeit leisten, da die Komplexität der Datenmenge, die sie täglich erreicht, nicht unbedingt geringer wird. Umso wichtiger ist es schon jetzt, dass jeder Mitarbeiter im Unternehmen genau weiß, was er zu tun hat und welche Anforderungen an ihn in Hinblick auf die Unternehmensziele gestellt werden, genau wie jedes Rädchen in einem Getriebe geölt sein will und reibungsfrei laufen sollte.

Welche Rolle spielt Führung in dieser veränderten Unternehmensumwelt?

In den vergangenen Jahren hat sich die Führungskultur immer stärker hin zu einer Kultur der schnellen Kontrolle und rein an Zahlen messbaren Leistungsbewertung entwickelt. Denn je weniger Zeit Führungskräften übrig bleibt, um ihre Mitarbeiter zu entwickeln, desto offensichtlicher wurde der Fokus auf die messbaren Kennzahlen des Unternehmens und die daraus motivierten Prämien oder eben Kürzungen bzw. Kündigungen von Angestellten gelegt. Wie Sie im Leitarktikel vom Februar ‚Führung – der vergessene Teil der Wertschöpfungskette’ nachlesen können, werden der Begriff Führungskraft und Manager nahezu synonym verwendet. Dabei fällt unter den Tisch, dass der Manager – der ja fast immer auch Führungskraft ist – kaum noch Zeit für die Führungsaufgaben findet. Führung wurde in dieser neuen Welt zu einem Nebenschauplatz degradiert. Häufig wird indirekt geführt anstatt den direkten Bezug zum Mitarbeiter zu suchen. Nun stellt sich vor dem oben angeführten Wandel in Unternehmen die Frage:

Sollte Führung eine Haupt- oder Nebenrolle spielen?

Für die Angestellten, die ein Unternehmen hat, ist es heute wichtiger als jemals zuvor, dass sie die Regeln, die Werte und die gelebte Kultur des Unternehmens kennen. Sie müssen wissen, in welchem Rahmen sie ihre Arbeit verrichten und in welche Richtung sich das Unternehmen entwickeln will. Da sich die Unternehmensziele heute so viel dynamischer verhalten und sich dauernde Veränderungen in der Unternehmenskultur und -führung ergeben, ist es umso tragischer, wenn ein Mitarbeiter nicht regelmäßig ‚geupdatet’ wird. Das bedeutet folglich, dass Führungskräfte der Mitarbeiterführung sogar mehr Zeit einräumen müssen. Die Führungsposition bedeutet Verantwortung: Die direkte Führungstätigkeit gehört auf der Prioritätenliste ganz nach oben.

Zwei Wege der direkten Führung

Es gibt zwei Wege der direkten Führung: entweder die noch verbleibende Zeit nach Abarbeitung aller anderer Tätigkeiten zu nutzen. Oder aber die notwendige Zeit für Führung und die entsprechenden Gespräche voranzustellen, um in der dann noch verbleibenden Zeit die restlichen Aufgaben zu verrichten. Zweiteres ist zwar anstrengend, führt aber letztlich zum Erfolg. Ersteres stellt die Führungsaufgabe an die 2. Stelle und das führt in der Regel zu Chaos.

Im Führungsmodell nach bosch unterteilen wir Führungskräfte und ‚Führungskräfte von Führungskräften’ in unterschiedliche Kategorien. Die ‚Laiendarsteller’ und die ‚Profis’ sind zwei solcher Typen von Führungskräften.

1) Die Laiendarsteller

  • Sie werden befördert, weil Sie fachlich richtig gut sind, echte Experten. Sie sind immer da wenn man sie braucht, ihre Loyalität ist zu 100% sicher.

  • Sie ruhen nicht, bis ein Problem gelöst ist, sie stehen zu ihren Leuten. Wenn Not am Mann ist, packen sie selbstverständlich an.
  • Eins ist beim Laiendarsteller in der Führungsrolle sicher:

Erst die Arbeit machen! Und wenn dann noch Zeit ist, werden Gespräche geführt.

  • Sie gehen bei sich selbst häufig ans Limit, bis zum Zusammenbruch – aber nicht nur, weil sie nett sind, sondern auch, weil sie häufig den Konflikt scheuen
  • Selten sagen diese Akteure von sich aus, was noch zu schaffen ist und was nicht mehr. Zu oft bekommen sie immer neue Arbeiten und Verantwortung – die Führung soll quasi nebenher mitlaufen.
  • Häufig arbeiten diese ‚Stützen’ des Unternehmens unter Führungskräften, die ähnlich ‚gestrickt’ sind und darum nicht sehen, wie es ihren Führungskräften geht.
  • Zu oft wird der Zeitpunkt am Anfang einer ‚Führungskarriere’ verpasst, mit der angehenden Führungskraft klar zu besprechen, in welchem Rahmen sie ihrer Führungsaufgabe nachkommen sollen. D.h. es wird nicht darüber gesprochen, auf welche Aufgaben zu Gunsten der Führungsaufgabe und der Zeit, die diese in Anspruch nehmen wird, verzichtet wird.
  • Wenn ein Mitarbeiter zur Führungskraft erhoben wird, muss er Arbeitspakete Stück für Stück auf andere übertragen. Die Gestaltung dieser Übergangsphase wird zu großen Teilen ‚dem Neuen’ überlassen. Dümmliche Sprüche à la ‚der muss sich halt freischwimmen’ dienen als Feigenblatt der eigenen Behäbigkeit.

2) Die Profis

  • Sie fordern konkret einen Rahmen.
  • Sie wollen wissen, was welche Priorität hat, wie, was an wen kommuniziert wird und was passiert, wenn Dinge nicht gleich funktionieren.
  • Sie antizipieren, dass ihre Rolle als Führungskraft Unterstützung benötigt und wollen wissen, auf welche Form der Unterstützung und Hilfe sie bauen können.
  • Des Weiteren fordern Sie eine Weiterbildung, um zu lernen, wie sie mit Kollegen umgehen sollen, die nicht ’mitziehen’.

3)  Die 3 Arten von Vorgesetzten, die sich entweder für Laiendarsteller oder Profis entscheiden:

Gattung 1 – diejenigen, die Profis wollen und Laiendarsteller akzeptieren.

In der Regel haben diese Führungskräfte selbst nicht die explizite Erfahrung gemacht, dass Training, Ausbildung, Coaching und direkte Führung in einer neuen Phase sehr viel ‚Schmerzen’ ersparen.

Gattung 2 – diejenigen, die nie darüber nachgedacht haben, welche Führungskräfte sie wollen – sondern nur, wie viel ‚die Show’ einspielen soll.

Hier steht nicht das Nachdenken über den Prozess sondern über das Ergebnis im Vordergrund. Führungskräfte werden nicht geschult, sondern im Job dazu angehalten, nach dem Muster ‚trial and error’ zu arbeiten. Wenn etwas nicht klappt, wird dies zwar registriert, es wird aber nicht dazu beitragen, die neue Führungskraft zu unterstützen. Wer kennt diese in vielen Unternehmenskulturen verankerten, armseligen Geisteshaltungen nicht:

  • „Nur die Harten kommen in den Garten!“
  • „Wer wird denn gleich weinen?“
  • „Es ist eben Schmerzensgeld…!“
  • „Wenn es einfach wäre, könnte es ja jeder.“

Gattung 3 – diejenigen, die Profis wollen und nicht ruhen, bis sie alle Positionen mit den passenden Profis besetzt haben.

Nur wenn die Führungspositionen mit Profis besetzt werden, können die Führungsaufgaben in der heutigen Zeit bewältigt werden. Der Raum für Führung ist essentiell, solange aber das Management keine eindeutige Sprache spricht, wird nie Raum für Führung entstehen.

Um mit einer Fußballmetapher zu sprechen: Ein guter Stürmer kann nicht gleichzeitig noch eine Mannschaft trainieren. Die Frage, wer für eine Führungsposition (Trainer) geeignet ist, hat also nicht nur mit der Performance der zur Auswahl stehenden Stürmer zu tun. Vielmehr geht es darum, die Persönlichkeit der potentiellen Führungskraft zu prüfen und zu beobachten, ob sie die Führung als erste Priorität wahrnehmen kann und will. Dann gilt es, die neue Führungskraft von anderen Verantwortungen und Aufgaben zu entbinden, damit sie Zeit für Führung hat.

Ein guter Manager, der schnell und strukturiert Entscheidungen treffen kann, ist also nicht automatisch eine gute Führungspersönlichkeit.

Unternehmen sollten in Zukunft ein Augenmerk darauf haben, die richtigen Posten mit den richtigen Menschen zu besetzen. Denn schlechte Führung hat in der heutigen Zeit weitreichende Folgen und Ineffizienz im Unternehmen ist nur eine der geringsten. Mitarbeiterfluktuation ist sicher die häufigste Folge schlechter Führung und verbunden mit den spürbarsten Konsequenzen.

Wann ist Führung wirksam?

Ein guter Indikator für die Wirksamkeit von Führung ist die Zeitdauer, welche für die Umsetzung von Anweisungen innerhalb von Groß-Projekten benötigt wird. Hierzu bedarf es einer Einbindung aller betroffenen Führungskräfte. Werden die Mitarbeiter aufmerksam geführt und entwickelt, entsteht Effizienz – genau dann weiß sich jeder in einem Team der Anweisung gemäß schnell in Rolle und Anforderungsprofil anzupassen.

Eine direkte Mitarbeiterführung lässt sich über Führungsgespräche erlernen. Wenn alle wissen, was zu tun ist und vor allem, wie die Dinge im Unternehmen ablaufen, so sind Veränderungen leichter zu handhaben. Ist der Kommunikationsweg klar und wissen die Personen im Unternehmen, an wen sie sich für Unterstützung zu wenden haben, dann verlieren sie keine kostbare Zeit mit Fehlkommunikation und Missverständnissen. Die direkte Führung hat auch Auswirkungen auf den Arbeitsethos und das Zugehörigkeitsgefühl jedes Mitarbeiters: in einer immer diffuseren Welt sind nichts wichtiger und angenehmer als klare Verhältnisse. Es geht hier vor allem um klare Ansprechpartner, konkrete Rahmenbedingungen und Regeln sowie klare Kommunikationsmechanismen im Unternehmen und in Bezug auf die Position, die jeder einzelne inne hält.

Werfen wir einen Blick in die Zukunft von Unternehmen: Die Veränderungen finden immer rasanter statt. Von ganz oben kann es ganz schnell in den Keller gehen. Innovation folgt Innovation. Und mit der Rechenkapazität der Zukunftscomputer wird auch hier der Informationsfluss in einem für uns nicht vorstellbarem Maß ansteigen und sich beschleunigen. Wir Menschen können extrem viel leisten und  uns schnell und flexibel auf Veränderungen einstellen. Die Klarheit der Verhältnisse im Unternehmen wird diese Leistungsfähigkeit unterstützen und steigern: Rollenklarheit, klare Kommunikation, Fokus auf die Entwicklung der Menschen – all das hilft dabei, ein Unternehmen erfolgreich durch die aufgewühlte und reißende Veränderungs- und Informationsflut zu tragen.