Geld oder Führung?

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Oder: Die Problematik von Geld und Prämiensystemen

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Spätestens seit der internationalen Finanzkrise sind Manager-Gehälter und Prämien schwer in die Kritik geraten. Kaum ein Tag vergeht, an dem sich nicht öffentlich über die astronomischen Auszahlungen innerhalb irgendeines Konzerns – vorzugsweise eines Bankkonzerns wie beispielsweise der Commerzbank – entrüstet wird.
Ist das – gehässig gefragt – der Neid der Besitzlosen? Denn, so das häufige Argument, es gilt ja immer noch das Prinzip von Angebot und Nachfrage. Mit anderen Worten, für Spitzenkräfte müssen auch Spitzengehälter und -prämien bereitgestellt werden.

Tatsächlich ist die Kritik überaus diffus, wie wir am Beispiel Prämien sehen.
Im Zentrum der Kritik stehen mal die Spitzenkräfte selbst (die gar nicht so ‚spitze’ seien), mal die Zielvorgaben, an deren Erfüllung sich die Auszahlung fest macht. Dann ist es wieder die schiere Höhe der Bonuszahlungen bzw. die Verhältnismäßigkeit zum Konzernergebnis. Manche kritisieren die fehlende Haftung (bei Nicht-Erreichen der Zielvorgabe), andere die Orientierung an zu kurzfristigen Zielen und Kennzahlen. Und dann gibt es noch die ‚Fundamentalisten’, die leistungsorientierte Vergütung im Allgemeinen verteufeln.

Zunächst kann man sich die Frage stellen: ‚Gibt es überhaupt ein echtes Problem mit Gehältern und Prämienzahlungen?’ Sind das, was wir durch die Medien erfahren, womöglich nur die Auswüchse einer kleinen Minderheit, die zwar ärgerlich erscheinen, aber nicht den Zweck als solches in Frage stellen?

Tatsächlich ist Geld sehr beliebt, um den Mitarbeiter zu Leistung zu stimulieren, denn…

  • Geld ist effektiv und eindeutig. Die Höhe des Gehalts gibt eine Erwartung der abzuliefernden Leistungen vor.
  • Geld ist effizient. Es richtet den Mitarbeiter auf sein vorgegebenes Ziel aus, wenn die Auszahlung daran gekoppelt wird und entlastet dadurch die Führungskraft. Die hat dadurch den Rücken frei, sich um Management-Tätigkeiten zu kümmern.
  • Geld ist gerecht. Dem Prinzip nach kann jeder das Maß erreichen, das seiner Leistung entspricht. Über Prämiensysteme ist ein Bezug zu messbaren Ergebnissen herstellbar.
  • Geld bewertet. Leistungsfähigkeit hat das Anrecht, sich entsprechend im Gehalt widerzuspiegeln. Das Gleiche gilt für die Leistungsbereitschaft.
  • Geld ist unmittelbar. Der Nutzen stellt sich für beide Seiten unmittelbar und sichtbar ein (Kontogutschrift / Ansporn).
  • Geld ist universell. Fast jeder ist darauf angewiesen und spricht darauf an.
  • Geld ist einfach. Es zu überweisen bedarf es nicht viel Aufwands.

 „Das Interesse denkt nicht, es rechnet. Die Motive sind seine Zahlen.“ (Karl Marx)

Natürlich hat Geld bzw. das Gehalt auch noch eine Ordnungsfunktion. Beispielsweise, indem junge Menschen nach Berufen Ausschau halten, die Ihnen ein ordentliches Gehalt versprechen – darunter auch Berufe, die ansonsten womöglich zu wenige ergreifen würden.

Geld hat also viele nützliche Eigenschaften in Bezug auf den Mitarbeiter.
Doch es fehlen ihm auch essentielle Funktionen, die ein vitales Unternehmen ausmachen:

  • Das Geld generiert keine Fähigkeiten und Fertigkeiten, mit anderen Worten: kein Können. Wohl kann es, wie oben beschrieben, die Leistung bewerten. Es produziert aber kein neues Wissen, keine Prozesse, keine Handlungssicherheit, keine Arbeitsmaßstäbe usw.
  • Geld hat keine ethische und keine emotionale Dimension. Über Geld wird bei dem Mitarbeiter letztlich nur ein rationales Kalkül angesprochen.

Kurzum, mit Geld allein wird keine Orientierung über die Art und Weise bzw. das WIE der Zielerfüllung gegeben.

Diese Lücken, die mit Geld nicht zugeschüttet werden können, zu schließen, wäre eine dringende Aufgabe für Führungskräfte. Und ja, ich spreche bewusst im Konjunktiv, denn aus meinem beruflich bedingten Einblick in viele, kleine, mittlere, große und riesige Unternehmen weiß ich, dass dem nicht so ist – und Sie als Leser wissen es in aller Regel auch.
Warum sich das selten ändert, wurde im Grunde schon erwähnt: Geld ist einfach, bequem und vermeintlich effizient. Zugegeben, manch einem sind die Lücken auch nicht bewusst – was die Sache aber kaum besser macht.
Und so sind wir schon darauf konditioniert: Der Arbeitgeber will mit Geld stimulieren. Das heißt, das Geld soll anregen, mehr Zielerreichung zu wollen und so mehr Leistung zu bringen. Beziehungsweise, es soll dafür belohnen, genug gewollt zu haben, verbunden mit

 

der Aufforderung, das Engagement aufrecht zu erhalten. In der Sprache der Pädagogen also ein klassischer Fall extrinsisch-instrumenteller Motivation durch Belohnung. Der Arbeitnehmer wird dazu erzogen, seinen eigenen Nutzen zu maximieren: ‚wie melke ich die Kuh?’

Die emotionale Bindung zum Unternehmen und zur Sinnhaftigkeit des eigenen Tuns baut sich darüber nicht auf. Und die Erosion der emotionalen Mitarbeiterbindung belegt uns ein Blick in entsprechende Forschungsergebnisse.
Das Gefühl mangelnder Bindung geht einher mit einem Mangel an Motivation, die aus dem Mitarbeiter selbst heraus kommt – oder, um nochmals die Pädagogensprache zu bedienen, dem Mangel an intrinsischer Motivation. Echte Führung mit Wertschätzung und Wertvermittlung kann eben diese intrinsische Motivation stimulieren.

Real wird dem Mangel an Bindung irrwitziger Weise selten mit mehr Führung begegnet. Stattdessen versucht man es mit noch mehr Belohnungsanreizen – also Geld, Firmenwagen, usw. – zu bewerkstelligen. Die Vermutung, dass diese Strategie geradezu zwangsläufig Heerscharen an ‚Söldnern’ anlockt, die bei erstbester Gelegenheit zu einem noch profitableren Arbeitgeber wechseln, drängt sich geradezu auf.

Der Mitarbeiter eines internationalen Konzerns, selbst Führungskraft auf CEO-Level, brachte es in kleiner Runde mal besonders drastisch auf den Punkt:

 „Ich bin eigentlich extrem frustriert von meinem Unternehmen und hätte schon längst gekündigt. Aber andererseits – bei so viel Prämien …“

In diesem Zitat klingen weitere Probleme an. ‚Söldner’ war unser Zitatgeber nämlich beileibe nicht. Aus seinem Statement sprach vielmehr das Verlangen nach Bindung, Wertschätzung, Kommunikation, Partizipation, usw. (intrinsischer Motivation).

Geld (extrinsische Motivation) befriedigt seine Motivationsstruktur – zumindest ab einem bestimmten Maß – nur noch sehr eingeschränkt. Folglich bedarf es eines horrenden Einsatzes an Geld, um ihn in seiner Position zu halten. Dass das Augenmaß für die Verhältnismäßigkeit der Bezüge in Relation zu Kollegen oder der Öffentlichkeit darüber verloren geht, dürfte wenig erstaunlich sein.1 [siehe unten]

Jenseits der ‚individuellen’ Probleme mit dem Anreizsystem Geld kann es sich auch negativ auf das innere Gefüge im Unternehmen auswirken. Dort, wo das Gehalt einzelner Personen überproportional hoch ist, entwickeln sich auch schnell Statuskämpfe mit den Kollegen.

Und nicht zuletzt hat die Kopplung des Geldes an die Zielerfüllung einen veritablen, diskriminierenden Zug, als es prinzipiell jene ausschließt, deren Leistung nicht unmittelbar in Zahlen, Daten und Fakten messbar ist.

Wir laufen zwar in die falsche Richtung, dafür aber viel schneller: Prämiensysteme

Für diejenigen, die man nun glaubt, besonders heftig stimulieren zu müssen, wurden dann die Prämiensysteme erfunden.

Prämiensysteme existieren faktisch auf Grundlage von zwei Unterstellungen:

  1. Es geht um Wollen und Motivation der Mitarbeiter, nicht um das Können.
  2. Geld ist das einzige oder zumindest beste Mittel, um das Wollen zu beeinflussen.

Wenn ich es ganz streng betrachte, ist das schon eine reichlich perfide, menschenverachtende Sichtweise. Pauschal wird damit den Mitarbeitern nicht weniger attestiert als Verweigerungsmentalität und purer Nutzen-Egoismus.

Man macht sich viel zu wenig Vorstellung, wie desaströs sich Leistungsprämien auf jene auswirken, die die Ziele nicht mangels Wollen sondern mangels fachlicher Ausbildung verfehlen.

Doch selbst wenn wir solch moralische Bedenken beiseite schieben, gibt es noch eine Reihe handfester, rationeller Gründe, die Prämiensystem äußerst fragwürdig erscheinen lassen.

  1. Der Konditionierungseffekt:
    Wird die Leistungserbringung permanent an Prämien gekoppelt, stellt sich ein Gewöhnungseffekt ein. Neue Aufträge lösen keinen ‚Call to action’ aus. Stattdessen kommt die Frage: „Und was kriege ich dafür extra?“
  2. Das Paradoxon:
    Ein Beispiel aus der Praxis: In einer Vertriebsmannschaft stellt sich heraus, dass das Ziel nicht im vorgegebenen Zeitraum einlösbar ist. In Folge dessen stellen sie die Arbeit gleich ganz ein: „Wir erreichen das Ziel (und damit die Prämie) eh nicht, warum also noch was tun?“ Das Management sieht sich schließlich gezwungen, Prämien für die reine Weiterführung der Arbeit auszuloben. Fazit für die Mitarbeiter: auch Untererfüllung führt zum Ziel.
  3. Der Rückgang:
    Was passiert in einem gesättigten Markt, wenn Wachstum nicht mehr selbstverständlich ist oder sich die Rahmenbedingungen geändert haben? Zahlt man dann für’s Halten der Ergebnisse? Oder entzieht man bspw. dem Autoverkäufer die Prämie (für ihn eine gefühlte Bestrafung), auch wenn der wahre Grund ist, dass die Leute schlicht kein Geld für den Neuwagen haben?
  4. Stufenlose, prozentuale Beteiligung:
    Damit ist es jedem mehr oder weniger freigestellt, wie viel er leistet, um das ihm (nicht dem Unternehmen!) genehme Optimum zwischen Geld und Anstrengungslosigkeit zu erreichen. Eine klare Zielstellung ist darüber schwer möglich.
  5. Trickserei:
    Systeme unterliegen stets der Versuchung, sie zu unterlaufen. Sei es, dass Regelungslücken genutzt werden, sich in der Leistungserbringung nur auf das konzentriert wird, was auch gemessen wird (unter Inkaufnahme von schädlichen Nebenwirkungen für das Unternehmen) oder die Messung der Zielerfüllung selbst geschönt wird – man muss sich dazu keineswegs auf den Boden der Illegalität begeben.
  6. …und viele mehr…

Schon allein diese Punkte zeigen uns: Prämiensysteme führen nicht zu Zielerreichungs- sondern strategischem Verhalten!

Die Reaktionen der Unternehmen auf das Unterlaufen sind indes meistens noch genauere Zielbestimmungen, noch ausgefeiltere Prämiensysteme, noch präzisere Messmethoden, Haftungsbeteiligungen usw. Mit anderen Worten: es werden Systeme entwickelt, um Systeme zu überwachen. Von der Presse wird das teilweise sogar noch befürwortet. Was daraus entsteht: starre, bürokratische Monstrositäten, die Handlungsspielraum und freies Denken ersticken. Mich überfällt manches Mal schon der Zorn, wenn ich bedenke, wie viel Energie in diese anonymen Instrumente investiert wird, die in persönlicher Führungsarbeit viel besser aufgehoben wären.

Übrigens: Die Entstehungsgeschichte überbordender Compliance-Regeln verläuft oft nach analogem Muster. Anstatt dass Führungskräfte ihrer Führungsaufgabe nachkommen, wird der Sache so lange freier Lauf gelassen, bis der Schaden groß genug ist. Nur, um sich dann einem kleinkarierten, bevormundenden Regelungssystem auszuliefern.

Geld oder Führung: Fazit

Nur um nicht falsch verstanden zu werden:
Dieser Artikel ist kein Traktat für niedrige Gehälter, Entzug der Prämien und autoritäre Führungskräfte – eher das Gegenteil ist der Fall. Was ich unter einer Führungskraft verstehe, darüber gibt die Vielzahl an Artikeln im Blog reichlich Auskunft.

Angemessene Gehälter sind sogar ein Muss: ich kann noch so perfekt in meiner Führungsarbeit sein – armselige Bezahlung wird armselige Leistungsbereitschaft nach sich ziehen. Auch die Prämie als solche ist unschuldig! Sie ist, richtig eingesetzt, sogar ein überaus effektives Mittel – wohlgemerkt ‚ein’ Mittel, nicht ‚das’. Finger weg von pauschalen Prämiensystemen, hin zu Prämien als persönliche Anerkenntnis der Leistungen. Das setzt freilich voraus, dass die Führungskraft ihre ‚Leute’ kennt, die Leistung erkennt und im Kontext beurteilen kann. Umso bedauerlicher, für wie viele Führungskräfte schon allein das eine fast unüberwindliche Hürde darstellt.

Die einen sagen also,
„Es gibt gewisse dysfunktionale Effekte im System“.
Sie wollen am Prämiensystem ‚herumdoktern’ oder noch ausgeklügeltere Zielvorgaben erfinden.

Manche sagen,
„Prämien sind diskriminierend, asozial und somit moralisch verwerflich (böse)“, und wollen sie gänzlich abschaffen.
Wir sagen,
„Prämiensysteme sind dysfunktional und unmoralisch.“
Wir wollen die Systeme abschaffen und durch echte Führung ersetzen
(was echte Führung bedeutet, passt aber nicht mehr in Gänze in diesen Artikel).

Ihr
Thorsten Bosch

 

Quelle: mikrooekonomie.de

[1] Unter wissenschaftlichen Gesichtspunkten ist das Problem des abnehmenden Nutzens pro Geldeinheit als Degressionseffekt geläufig. Auch bei den Substitutionskurven im Bereich der Mikroökonomik ist dieser Effekt bekannt.


Quellen: