Management by Objectives [MbO] – Die große Führungslüge

Oder: Warum die Sau vom Wiegen nicht schwerer wird!

…es ist wieder Montag, es ist wieder Meeting und ergo ist da wieder die Sache mit den Listen, den Ergebnissen, den Reports und den To Do’s. Es ist ein typischer Wochenanfang in einem typisch deutschen Unternehmen.
Es ist wohl nötig, so häufig wie möglich zu zählen, zu wiegen, abzugleichen – einfach dran zu sein an den Leuten, um zu sehen, ob sie auch ja am Ball bleiben….

Sie werden es wahrscheinlich kennen, es ist ein beliebtes und wiederkehrendes Ritual in jedem Unternehmen, zunächst Ziele zu vereinbaren, zu ‚committen’ oder sie einfach vorzugeben. Teil zwei ist dann, deren Erfüllung zu kontrollieren und ‚dran zu sein’. Eine überwältigende Mehrheit an Unternehmen wendet diese Methode – das Management By Objectives – an. Auf den ersten Blick ist daran auch nichts auszusetzen, wer würde schon ohne Ziele arbeiten wollen? Und darüber hinaus ist das eine gängige, moderne Management-Methode.

Und mehr noch: es sind doch die Mitarbeiter, die nach Eigenverantwortung rufen, es sind die Betriebsräte, die nicht genug davon fordern können, es sind die Wissenschaftler, die Selbstbestimmung, Autonomieerleben, Entfaltungsmöglichkeiten seit vielen Jahren  proklamieren [vgl. Deci & Ryan, 2000. The „what“ and „why“ of goal pursuits.]1. Also kann es doch nur richtig sein, dass es die ‚Geführten’ sind, die sich darüber Gedanken machen müssen, wie sie die wohl überlegten und sportlich gesetzten Ziele erreichen, oder?

Darüber hinaus: ist es nicht so, dass die Führungskraft – angesichts der vielen parallelen Tätigkeiten und der sich ständig beschleunigenden Dynamik in den Unternehmen – gar nicht mehr die Möglichkeit hat, sich mit Details und Art und Weise aufzuhalten, mit denen sich seine Untergebenen Führungskräfte oder Mitarbeiter diesen Zielen nähern wollen? Ist es nicht gerade in einer so arbeitsteiligen Gesellschaft die ideale Synergie aus Autonomieerleben des Einzelnen und der gewünschten Effizienz des Unternehmens, dass die Akteure die Ziele einfach erreichen – ohne ständige Einmischung von oben?

Abgesehen davon sind die heutzutage wesentlich mündigeren Untergebenen doch in der Holschuld, wenn Sie nicht zurecht kommen! Und sollte sich im Verlaufe der täglichen Praxis tatsächlich herausstellen, dass Wissen oder Fertigkeiten fehlen, verfügen moderne Unternehmen über Personalentwicklungsabteilungen, die Kurse anbieten oder zügig organisieren können, um solche Defizite in Form von Trainings oder Coachings kurzerhand abzustellen.

Demnach müsste ‚Management By Objectives’ bei allen Beteiligten zu einer hohen Zufriedenheit führen und geführt haben. Führung wäre dann eine präzise, planbare, rationale und äußert effiziente Sache: das Management ersinnt die richtigen Ziele, bricht diese herunter, die Führungskräfte geben diese weiter und die Ergebnisse kommen…

Kommen wir zur Realität über die große Führungslüge:

Leider stellt sich die Situation aus meiner Erfahrung der letzen 20 Jahre und unzähliger, intensiver Gespräche für keine der beiden ‚Parteien’ – also jene, die von oben nach unten schauen und jenen, die von unten nach oben schauen – so einfach dar.

 Von jenen, deren ‚Blick’ von oben nach unten geht, höre ich:
„Ich weiß auch nicht, was da noch zu tun ist… Wir haben die geschult, geredet, Systeme gestellt, motiviert, gelockt, wieder geredet, gefördert, gefordert. Irgendwie habe ich den Eindruck, die sind nicht so ‚hungrig’, wie wir das früher waren. Ich hab das früher auch hingekriegt – die müssen halt mal einen Schlag mehr machen, die Extra-Meile gehen, so schwer kann das doch nicht sein!“

Von jenen, deren ‚Blick’ von unten nach oben geht, höre ich:
„Der Druck steigt ununterbrochen, ständig ändert sich etwas, keine Aufgaben werden abgeschafft, keine Prioritäten runtergestuft. Es muss immer noch etwas Neues ‚on top’ gemacht werden, es muss immer mehr Ergebnis produziert werden! Keine Ahnung, wie das funktionieren soll! Und wie soll ich das meinen Leuten erklären? Es ist völlig ‚wurscht’, was mein Team leistet, es wird wieder eine höhere Zahl als Zielvorgabe folgen. Manchmal glaube ich, dass ‚die da oben’ selbst nicht wissen, wie es gehen soll… aber die können ja auch nix machen, da ist ja noch einer drüber, der das verlangt.“

Die Situation wirkt auf viele meiner Gesprächspartner zunehmend wie die Szenerie eines Fußballspiels bei dem sie der Stürmer sind. Und bei dem sie immer, wenn sie am Tor vorbeigeschossen haben, den ernst gemeinten Hinweis ihres Trainers bekommen, dass sie am Tor vorbeigeschossen hätten und er es als sehr, sehr wichtig erachte, den Ball zukünftig IN DAS Tor zu schießen.
Die ständigen Auseinandersetzungen mit der Abweichung von SOLL- und IST-Zahlen aus der Excelliste  in den ‚berüchtigten’ Montagsmeeting sind halt nichts anderes! Denn den meisten Menschen fehlt es ja nicht an der Fähigkeit der Addition und Subtraktion von Zahlen, sondern höchstens die Idee, WIE ist es unter den Gegebenheiten möglich ist, die Vorgaben zu erreichen.
Leider löst die ständige Diskussion, warum die Zahlen nicht erreicht wurden, bei dem Gefragten im Montagsmeeting das Gleiche aus, wie beim Stürmer auf dem Fußballfeld, warum er nicht ins Tor geschossen habe.
Hat er Humor, so könnte er sagen, er wolle die Reaktion des Trainers testen. Ist ihm der Humor bereits vergangen, könnte er patzig – aber nicht unlogisch! – antworten, dass er keinen  konkreten Plan hatte, die Zahlen bzw. das Tor mit Absicht zu verfehlen.

Da nun den Unternehmen selbstverständlich bewusst geworden ist, dass es hier Optimierungspotentiale zu heben gilt, wurde ‚nachgerüstet’. Insbesondere wurde in diesem Zusammenhang weder Mühe noch Aufwand gescheut, Transparenz zu schaffen. Denn schließlich gelte, dass nur dann, wenn die Analyse perfekt ist, man daraus auch die richtige Diagnose stellen könne. Und so ist es, von außen betrachtet, zu einem regelrechten ‚Hype’ an neuen und durchaus kreativen, IT-gestützen Controlling-Offensiven gekommen. Immer neue Endgeräte, noch bessere Erreichbarkeit, noch genauere Spreadsheets etc. helfen heute Art und Ausmaß der Lücken zwischen dem Geforderten und dem Erreichten bis auf die vierte Stelle hinter dem Komma auszurechnen, in Zeitreihen darzustellen und ‚instant’ auf Management-Informations-Systemen oder Dashboards für alle ‚visible’ und verfügbar zu machen. Ob dieser Support an Kennzahlen den Mitarbeitern wirklich hilft, ihre Ziele zu erreichen, ob es sie motiviert, oben auf der Rankingliste zu stehen oder ob es – weit entfernt vom so genannten ‚sportlichen Wettbewerb’ – schlicht und ergreifend zu Stress, Angst und Panik führt, muss jeder für sich hinterfragen.

Es ist ein paar Jahre her, als in sehr prominenter Runde bei einem meiner Workshops eine ranghohe Führungskraft aus dem Schwabenland anmerkte: „Es kommt mir so vor, als würden einige meiner Kollegen glauben, die Sau würde vom Wiegen schwerer!“. Nachdem die Runde ihn etwas verdutzt anschaute, ergänzte er grinsend, „er wär halt aufm Bauernhof uffgwachsa und des hät sei Vadder ihm scho als Bub emmer wieder gsagt, dass des nix nütza däd, wenn er’d Sau dauernd aufd Waage zerrä däd. Gscheiter wärs, er däd se emmer füttra und dafür sorga, dass’d Sau älls hot und gsund bleiba däd. Dann wird se au ohne wiega schee fett wära!“

WIE oder WAS?

Geben Sie zu, Sie denken jetzt: „Das ist aber ein bisschen banal.“ Ja, stimmt, aber es ist oft so, dass die Dinge, die einen zum Denken bringen, nicht kompliziert sein müssen – was ihnen allerdings keineswegs die Wucht nimmt.

Sie fragen sich vielleicht auch, warum ich das schreibe und vor allem: was ist die Alternative? Die Alternative ist, in Unternehmen wieder eine Balance des WAS und WIE herzustellen.
Wie das geht? Durch direkte persönliche Auseinandersetzung mit jedem Mitarbeiter durch mehr Führung und weniger Management – mehr WIE, weniger WAS!

Das rückt altbekannte, erprobte und wirksame Tugenden wieder in den Mittelpunkt: harte Arbeit, kontinuierliche Anstrengung, Auseinandersetzung mit Misserfolgen und das Würdigen von Erfolgen. Für jeden, der in Deutschland die Meisterprüfung bspw. in der Industrie ablegt,  ist das Kernbestandteil und Normalität.

Konkret bedeutet das für die Führungskraft: ihre Verantwortung wird ausgeweitet auf die Fertigkeiten, das Wissen und das Können eines jeden Mitarbeiters.

  • Das bedeutet, Rückfragen als Aufforderung zum Coaching durch die Führungskraft zu interpretieren – nicht als Wunsch, die Personalentwicklungsabteilung solle einen Kurs buchen.
  • Das bedeutet, sich als Führungskraft im Vorfeld eines Coachings selbst eine Vorstellung zu erarbeiten, was der SOLL-Zustand und die Schritte dorthin sein müssen. Es heißt Abschied zu nehmen von der Sichtweise, „wozu hab ich Spezialisten?“ oder „Ich werde ja am Ergebnis sehen, ob er es kann.“
  • Das bedeutet, dass die schlechte Performance meines Teams etwas mit mir zu tun hat – nicht mit Rahmenbedingungen, der Geschäftsführung, etc.
  • Das bedeutet, sich vor statt hinter sein Team zu stellen.

Diese Haltung bzw. dieses Führungsverhalten zielt auf eine neue Balance aus Höchstleistung und guter Motivation ab. Das Ergebnis ist dann – statt angstgetriebenen ‚Leistungs-Peaks’ und Systemüberlistungsversuchen – eine kontinuierliche Steigerung der Performance über die vom direkten Vorgesetzten ‚angeschobene’ Steigerung der Fähigkeiten aller Mitarbeiter.

Fazit:
Der Fußball-Trainer, der die ganze Saison am Spielfeldrand steht und engagiert schreit: „Schießt mehr Tore! Siegt! Werdet Meister, werdet Meister!“ tritt ab und übergibt die Mannschaft an den ‚neuen’ Trainer, der seine Spieler vom Spielfeldrand aus genauestens beobachtet und analysiert. Der Trainer, der sie in der Pause neu einstellt und brauchbare Hinweise gibt. Der das Training kontinuierlich auf die Entwicklungspotentiale seiner Spieler hin ausrichtet. Sein Motto hat er von Jürgen Klinsmann übernommen, „jeden Tag jeden Spieler einbisschen besser zu machen.“ Denn Tore bekommt er dann, wenn durch sein Training seine Spieler immer häufiger in aussichtsreiche Schusspositionen kommen. Das WAS [Tore] wird dann die Folge des WIE [Können]!

Bildquelle: Dr. Thorsten Bosch AG

1 Deci, E. L., & Ryan, R. M. (2000). The „what“ and „why“ of goal pursuits: Human needs and the self-determination of behavior. Psychological Inquiry, 11, 227-268.