Stress und Burnout I

Wie viel Regulierung brauchen Unternehmen?

2013 war – unter anderem – das Jahr der Burnout-Debatten. Nach der Veröffentlichung verschiedener Studien schlugen neben der Politik vor allem die Krankenkassen recht laut Alarm. Am eindrucksvollsten war sicher jene Studie, die einen Anstieg der burnout-bedingten Krankheitstage um 1800% von 2004 bis 2011 ausweist. Ob es bei den darauffolgenden Diskussionen tatsächlich um das mangelnde Wohlbefinden von gestressten Arbeitnehmern ging, sei einmal dahingestellt – Fakt ist, Stress und Burnout verursachten inzwischen für Firmen und Gesellschaft Folgekosten in Milliardenhöhe.

Die daraus resultierenden Diskussionen bewegten sich in einem recht breiten Spektrum. Die damalige Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen dekretierte, dass die bestehenden Arbeitsschutzgesetze nur richtig angewendet werden müssten, um Arbeitnehmer wirksam vor Stress und stressbedingten Erkrankungen zu schützen. Arbeitgeber-Präsident Dieter Hundt ruderte später zwar zurück, fand jedoch zunächst, dass es sich bei den extrem Gestressten wohl um besonders labile und sozial wenig angepasste Personen handeln müsste – jedenfalls dürften die Ursachen für Stress nicht primär im Job, sondern in anderen Lebensbereichen liegen. Die IG Metall reagierte auf das schwelende Problem schon im Vorfeld der Debatten mit einem eigenen Papier – ihr Entwurf zu einer Antistressverordnung formuliert auf über 80 Seiten einen Pflichtenkatalog für Arbeitgeber, um Stress am Arbeitsplatz zu minimieren.

Immer höhere Anforderungen und größerer Stress am Arbeitsplatz

Fakt ist auch: Moderne Arbeitnehmer agieren in einer professionellen Welt, die sehr viel komplexer ist als das Arbeitsumfeld früherer Generationen. Die fortschreitende Globalisierung hat zu einem sich stetig verschärfenden Wettbewerbs- und Leistungsdruck geführt. Viele Unternehmen glaubten und glauben vor diesem Hintergrund, Kosteneffizienz nur durch den Abbau von Personal zu garantieren, was die Arbeitsbelastung des einzelnen Mitarbeiters oft beträchtlich in die Höhe trieb. Digitale Kommunikationsmittel ermöglichen Erreichbarkeit rund um die Uhr sowie mobiles Arbeiten an jedem Ort der Welt, am Wochenende und natürlich auch im Urlaubsdomizil. Die Kehrseite ist, dass nicht nur Chefs, sondern auch viele Mitarbeiter permanente Erreichbarkeit, Flexibilität und das Bewältigen immer größerer Arbeitsmengen auch als ultimativen Leistungs- und Statusausweis betrachten. Verwerfungen sind damit programmiert: Der alltägliche Stress am Arbeitsplatz endet immer öfter in einem manifesten Burnout.

Burnout – Ausdruck von psychischem oder sozialem Unbehagen

Soweit der oberflächliche Blick auf mögliche Szenarien in Unternehmen – Stressexperten haben dazu allerdings eine andere Meinung. Nicht umsonst akzeptiert die WHO in ihrem – auch hierzulande versicherungsrechtlich verbindlichen – Erkrankungsschlüssel (ICD-10) Burnout nicht als eigenständige Behandlungsdiagnose, sondern nur als Zusatzdiagnose im Zusammenhang mit besonderen Belastungen in der Lebensführung, deren Ursachen allerdings durchaus in der beruflichen Arbeit liegen können. Die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie stuft einen Burnout als „Risikozustand als Folge einer langfristigen Arbeitsüberforderung“ ein. Seine Kennzeichen bestehen in körperlicher und seelischer Erschöpfung, wachsender Distanzierung von einer Tätigkeit, für die sich die Betroffenen zuvor meist in besonders hohem Maße engagierten sowie „Depersonalisierung“: Burnout-Opfern werden ihre Arbeit, ihr soziales Umfeld – Familienangehörige, Freunde, Kollegen oder Kunden – und auch sie sich selbst fremd. Ihr Leistungsvermögen, ihre Produktivität und Kreativität reduzieren sich daher sukzessive.

Eine Krankheit ist ein Burnout deshalb trotzdem nicht. Zwar kann er langfristig zu echten Krankheitssymptomen – beispielsweise Herz-Kreislauf-Leiden oder Erschöpfungsdepressionen – führen, vor allem signalisieren die Betroffenen damit jedoch, dass der negative Stress überhand genommen hat und dass in ihrem Arbeitsumfeld oder in der Relation zu diesem etwas Grundsätzliches nicht stimmt. Last but not least: Wer unter Stress und Burnout leidet, identifiziert sich damit auch als ein Leistungsträger und findet hiermit ein Ventil, um über sein psychisches oder soziales Unbehagen in gesellschaftlich akzeptierter Weise öffentlich zu sprechen.

Formale Regelungen lösen den negativen Stress nicht auf

Politik und Gesellschaft haben bislang wenig Antworten darauf gefunden, wie Stress und Burnout wirklich beizukommen ist. Die grundsätzliche Antwort besteht in immer stärkerer Regulierung respektive einem Arbeitsschutz, der sich auch auf das Vermeiden psychischer Belastungen am Arbeitsplatz erstreckt. Der Erfolg solcher Maßnahmen ist bisher begrenzt, zudem diese meist Stückwerk bleiben – ein systemischer Ansatz steht, zumindest aus politischer Perspektive, bisher aus. Aus unserer Sicht bewegen sich die wirklich relevanten Fragen in anderen Dimensionen und sind mit rein formalen Regelungen nicht zu lösen: Was genau erzeugt negativen Stress in so extremer Form, dass er in den Burnout führt? Und was führt dazu, dass Arbeitnehmer stressresistenter werden können – welches Arbeitsumfeld, welche Bedingungen und Beziehungen brauchen sie dafür an ihrem Arbeitsplatz? Unser eigenes Konzept für eine nachhaltige Lösung präsentieren wir im zweiten Teil dieses Beitrags, der am Freitag (29. August 2014) ab zehn Uhr hier erscheint.

Fazit:

  • Im Vergleich zu früheren Jahrzehnten ist die moderne Arbeitswelt extrem komplex geworden. Globalisierung, Digitalisierung und immer stärkerer Wettbewerb fordern ihren Preis.
  • Viele Arbeitnehmer reagieren darauf mit negativem Stress. Überlastungssymptome oder ein manifester Burnout sind jedoch in erster Linie ein Ausdruck von psychischem oder sozialem Unbehagen.
  • Die Politik versucht bisher, Stress und Burnout durch immer umfassende Regulierungen in den Griff zu bekommen – mit bisher mehr als mäßigem Erfolg.
  • Die eigentliche Frage lautet, welche Bedingungen und welches Arbeitsumfeld Arbeitnehmer brauchen, um resistenter gegen Stress zu werden.

Quellen:
http://www.bkk-dachverband.de/gesundheitsreport/diagramme#
http://www.baua.de/de/Publikationen/Fachbeitraege/Gd68.html;jsessionid=A8B3F452942A9731F3DC317CA174F7B1.1_cid380
http://www.focus.de/finanzen/karriere/arbeitgeberpraesident-bezweifelt-belastung-dieter-hundt-an-burn-out-ist-nicht-der-job-schuld_aid_895188.html
http://www.bundestag.de/presse/hib/2013_05/02/255062
http://www.zeit.de/karriere/beruf/2014-06/wichtigste-fragen-burn-out
http://www.igmetall.de/SID-DBD63F28-101E4BF3/internet/docs_0188530_Anti_Stress_Verordnung_ab6297762b343f1ce2cf2275345a3e1b648a983d.pdf