Führung – der vergessene Teil der Wertschöpfungskette

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Oder: Warum 90% der Führungskräfte nicht führen

In der deutschen Wirtschaft und in den meisten deutschen Unternehmen wird kein wirklicher Unterschied gemacht zwischen den Begriffen ‚Führung‘ und ‚Management‘. Und so ist es auch nicht verwunderlich, dass die meisten Führungskräfte zwar Führungskraft genannt und für eine Führungsposition bezahlt werden, aber bei genauem Hinsehen eben gar keine Führungskräfte sind, sondern lediglich Manager.
Geschätzte 90 % der deutschen, so genannten Führungskräfte führen gar nicht – sie managen. Vielleicht fragen Sie sich jetzt, was denn genau der Unterschied sein soll – ist doch alles das gleiche. Eben nicht!
Es gibt einen gewaltigen Unterschied, der für die Wertschöpfung in Unternehmen eine wesentliche Rolle spielt. Diese Unterscheidung nicht zu treffen, führt dazu, dass in den meisten deutschen Unternehmen wertvolles Potenzial zur Performancesteigerung ungenutzt brach liegt.

Management oder Führung – der entscheidende Unterschied

Wenn wir Gablers Wirtschaftslexikon bemühen, wird der Unterschied recht schnell deutlich. So bedeutet Management das Verwalten von Werten. Der Mensch ist in einem so geprägten Unternehmenskontext ein Wert, eine Ressource, die ‚gemanagt‘ werden muss. Dies beschreiben auch die Begriffe ‚Human Resources‘ oder ‚Human Capital‘. Der Mensch bzw. die Arbeitskraft wird als etwas Dingliches betrachtet und damit auf eine ähnliche Stufe gestellt, wie andere Investitionsgüter, die verwaltet werden müssen. Ziel dabei ist es, eine möglichst hohe Produktivität zu erreichen. Zwar hat es über die Jahre hinweg immer wieder neue Strömungen in Bezug auf Führungsstile und Managementpraktiken gegeben. Und doch basiert diese Führungskultur des Managements – man mag es kaum glauben – immer noch auf den Grundsätzen der industriellen Revolution, die die Steigerung der Produktivität durch den effizienten Einsatz von Ressourcen zur Maxime erhoben hat.

Seitdem gab es die unterschiedlichsten ‚Management-by‘-Konzepte, die dazu führen sollten, die Produktivität der Ressource Mensch weiter zu steigern. ‚Management by Motivation‘, ‚by Delegation‘, ‚by Innovation‘, ‚by Participation‘ oder das gerade schwer angesagte ‚Management by Objectives‘.

Viele nützliche Ansätze, die aber alle auf ein und dieselbe problematische Grundannahme aufbauen: dass es beim Management nämlich, wie z.B. dem Management by Objectives, einzig und allein darum ginge, WAS getan werden muss. D.h. es wird zwar vorgegeben, welche Ziele erreicht werden müssen, der Manager fühlt sich aber nicht in der Verantwortung, den Mitarbeiter auch zu befähigen, WIE er diese Ziele am besten erreichen kann.

Management wird oft auch deshalb praktiziert, weil die Frage nach dem WAS eine Skalierbarkeit und Messbarkeit (Stichwort: Controlling) beinhaltet, schnell Ergebnisse bringt und gleichzeitig viele Menschen im Unternehmen erreicht. Es führt zu schnellen Gewinnen bzw. es hat in der Vergangenheit zu schnellen Gewinnen geführt. Ähnlich wie die immer stärkere Automatisierung und Optimierung von Arbeitsabläufen zu schnellen Gewinnen geführt haben.

Die Zeit der Quick wins ist vorbei – Management verliert seine Wirkung

Seit den Tagen der industriellen Revolution hat sich aber einiges verändert. Laut übereinstimmenden Aussagen der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften haben wir bereits mindestens die dritte industrielle Revolution durchlaufen und sind im so genannten Informationszeitalter angekommen. Dies bringt ganz neue Herausforderungen für Unternehmen mit sich: Geschwindigkeit, Globalisierung, Verfügbarkeit, Transparenz sowie schnellster Zugang zu Informationen für jedermann und damit eine nie da gewesene Vergleichbarkeit von Leistungen und Produkten. Eine Produktivitätssteigerung durch die reine Optimierung von Arbeitsprozessen oder die geschickte Verwaltung von Ressourcen, hat spürbar ihre Grenzen erreicht.
Auch die im Moment wahrnehmbaren Versuche, dies über verstärktes Controlling im Unternehmen zu erzwingen, führen eher dazu, dass am Ende die gewünschte Produktivitätssteigerung einer Cost-Cutting-Politik zum Opfer fällt und Führungskräfte mit steigendem bürokratischen Aufwand auch gar keine Zeit mehr zum Führen haben. Schach Matt – Ende der Fahnenstange!

Echte Führung steigert langfristig Qualität und Performance

Eine der möglichen Ursprünge des Wortes ‚Management‘ kommt vom lateinischen ‚manus agere‘ für ‚an der Hand führen‘, was der eigentlichen Bedeutung von Führung sehr nahe kommt. Nach Gabler bedeutet Führung – im Gegensatz zu Management – das Befähigen von Menschen.

Eine Neuausrichtung der Führungskultur weg vom reinen Management hin zur echten Führung kann in diesen turbulenten Zeiten der Schlüssel zu einer Qualitäts- und Performancesteigerung sein, welche die überholte Maxime der schnellen Produktivitätssteigerung ablöst.

Nehmen wir als Beispiel den Handel.
In Zeiten, in denen Preise transparent, Produkte vergleichbar und überall schnell erhältlich sind, nehmen die Faktoren Mensch und Qualität wieder eine besondere Bedeutung als Wettbewerbsvorteil ein. Statt nur Prozesse zu optimieren, gilt es, die Führungsarbeit auf die Befähigung der einzelnen Menschen auszurichten, um das ungenutzte menschliche Potenzial als Teil der Wertschöpfungskette gezielt und kontinuierlich zu erschließen, zu entwickeln und zu verfeinern.
Statt zu versuchen, mit einer logistischen Großmaschinerie, wie Amazon oder Zalando, zu konkurrieren, bei der Führung absolut keine Rolle spielt und Mitarbeiter wirklich nur gemanagt werden (müssen), liegt die einzige Chance des stationären Handels in der Steigerung der Qualität dessen, was Kunden bei ihrem Einkauf erleben. Und das ist die eigentliche Aufgabe der Führung!
Echte Führung schafft nachhaltige Steigerung von Mitarbeiter-Performance, was zu mehr als nur einer Erhöhung der Produktivität führen kann. Daraus können vielfältige Entwicklungen im Unternehmen erwachsen: mehr Innovation, mehr Qualität, mehr Kundenbindung, mehr Teamwork, weniger Reibungsverluste, weniger Fluktuation, Aufbau von Know How, etc., kurzum: langfristiges, gesundes Wachstum statt instabiler ‚Quick Wins‘.

Voraussetzung: den Rahmen für echte Führungsarbeit schaffen

Es gibt allerdings Gründe, die – oberflächlich betrachtet – eher dafür sprechen, zu managen als zu führen. Führung ist im Gegensatz zu Management mühsam. Die Arbeit am Menschen ist individuell und personenbezogen, sie ist manchmal zäh und sie erreicht jeweils nur einen – den jeweiligen Mitarbeiter. Und sie zeitigt nur Erfolge, wenn die Führungskraft kontinuierlich ‚dran bleibt‘. Ja, echte Führung ist anstrengend! Doch dafür wird man als Führungskraft eigentlich bezahlt…
Deshalb gibt es drei notwendige Voraussetzungen, um diesen Paradigmenwechsel vom reinen Management hin zur echten Führung in einem Unternehmen zu vollziehen. Einerseits müssen die notwendigen Bedingungen in den Unternehmensstrukturen geschaffen werden, so dass Führungskräfte auch führen können. Zweitens muss die Führungskraft selbst die Leidenschaft und die Bereitschaft mitbringen, sich dieser mühsamen Arbeit am System Mensch zu widmen. Und drittens brauchen Führungskräfte die entsprechenden Fähigkeiten und Werkzeuge, um Mitarbeiter wirksam zu führen. Alle drei Bedingungen sind in der Regel nicht gegeben und müssen – wenn dieser Wechsel gelingen soll – durch eine tiefgreifende Transformation der Führungskultur im Unternehmen erst geschaffen werden.

Quellen:
Sidney Pollard: The Genesis of Modern Management. A Study of the Industrial Revolution in Great Britain. London 1965
Gabler Wirtschaftslexikon