Ist der stationäre Handel gegenüber den Onlineshops wirklich in der Defensive?
Die Frontlinien des Wettbewerbs im Handel scheinen klar: Der stationäre Handel befindet sich seit Jahren in der Defensive, der Onlinehandel boomt. Ehemalige Internet-Start-Ups wie Amazon oder im deutschsprachigen Raum Zalando punkten mit günstigen Preisen und Bestellkomfort. Viele Online-Käufer sind im stationären Handel vom Kunden zum ‚Showroomer‘ mutiert. Vor allem bei hochwertigen Waren informieren sie sich im Geschäft, ordern dann jedoch im Internet.
Die ‚Wirtschaftswoche‘ konstatierte kürzlich, dass der deutsche Einzelhandel den Wettbewerbern aus dem Internet nur wenig entgegenzusetzen hat. Immer mehr Geschäfte im stationären Einzelhandel müssen schließen. Dagmar und Wolfgang Lennertz, bislang Inhaber eines Fotogeschäfts in Krefeld, rechneten vor dem Aus noch mit ihren Kunden ab. Auf einem Zettel im Schaufenster ließen sie diese wissen, dass sie es leid seien, sich von ihnen die günstigeren Preise der Onlinehändler vorrechnen zu lassen und gezwungen zu sein, diese immer wieder noch ein Stück zu unterbieten.
Hat der stationäre Handel den Trend zum Online-Shopping verpasst?
Das Problem beschränkt sich inzwischen keineswegs nur auf die kleinen Läden, auch die großen Handelsketten haben unter der Online-Konkurrenz zu leiden. Die ‚Wirtschaftswoche‘ lieferte dazu eine – im Handel selbst allerdings äußerst umstrittene – ‚Rote Liste‘. Darauf finden sich der durch langjähriges Missmanagement schon seit langem kaum noch lebensfähige Kaufhaus-Konzern Karstadt, prominente Sport- und Modehändler wie Intersport und Wöhrl, die Spielzeug-Kette ‚Toys’R’Us‘ und Elektronikmärkte wie Expert oder Electronic Partner. Die der Liste zugrundeliegende Studie benennt außerdem den Bereich, in dem aus Sicht der Researcher der Druck am größten ist: Demnach haben viele Handelsunternehmen den Trend zum Online-Shopping schlicht verschlafen. Ihre eigenen Online-Angebote führen, wenn überhaupt gegeben, eher ein Schattendasein – mit dem Resultat, dass Zalando & Co. sie immer mehr das Fürchten lehren.
Gegenstrategien: Digitalisierung, POS-Optimierung, Preiskampf
Die Defensive des Handels zeigt sich nicht nur in schwindenden Margen und sinkenden Kundenzahlen, sondern auch in Defiziten seiner Strategieentwicklung. Anfang des Jahres war auf der Retail-Messe Euroshop zu besichtigen, wie stationäre Händler die Kommunikation mit ihren Kunden immer stärker digitalisieren. Die sogenannten Beacons sind im stationären Handel aktuell der letzte Schrei. Die elektronischen Funkfeuer landen auf den Smartphones potentieller Kunden und sollen sie in die Geschäfte locken. Während des Rundgangs im Laden weisen sie die Kunden kontinuierlich auf Neuheiten und besonders attraktive Angebote hin.
Andere Handelshäuser drängen direkt ins Internet, beispielsweise eröffnete die französische Handelskette Auchan in diesem Herbst eine virtuelle Shopping Mall. Googles Mobile-Sales-Experte Jason Spero plädiert in einem Blogbeitrag dafür, dass auch der stationäre Handel eine Online-Willkommenskultur pflegen sollte, die für den User einen Zusatznutzen bringt und im Idealfall mehr Kunden davon überzeugt, danach auch ins Geschäft zu kommen. An eher simpler Überzeugungsarbeit versuchen sich der Media Markt und viele andere Händler: Tiefstpreise und fortlaufende Aktionen sollen potentielle Kunden sowohl im Store als auch im Internet zum Kauf ‚verführen‘.
Der falsche Fokus: Nicht auf den Kunden selbst, sondern auf ‚mehr Frequenz‘
Einmal abgesehen von den Preiskämpfen mit den Onlineshops, die den stationären Handel vor allem weiter in die Defensive drängen, da diese den Kunden bereits seit Jahren zu einer ‚Geiz-ist-geil‘-Mentalität erzogen haben, dürfte diesen Strategien nur begrenzt Erfolg beschieden sein. Entweder versuchen die Einzelhändler die Online-Konkurrenz in ihrer Kernkompetenz zu schlagen und sind dabei – inklusive Kannibalisierungseffekten – alles andere als perfekt oder es geht primär darum, dass der stationäre Handel ‚mehr Frequenz‘ erhält. Danach, was mit dieser Frequenz dann im Geschäft geschieht, fragen die Autoren solcher Strategien kaum. Es scheint, dass die Einzelhändler selbst und die meisten Analytiker sich darauf verlassen, dass der Kunde – sofern es denn gelingt, ihn zu motivieren, einen Laden zu betreten – dort schon etwas kaufen wird.
Ein exzellentes Preis-Leistungs-Verhältnis und fähige Verkäufer stellen Weichen
Wir halten dagegen, dass sich der stationäre Handel endlich – statt nur auf den Preis oder wie gebannt ins Internet zu schauen – auf ein exzellentes Preis-Leistungsverhältnis fokussieren sollte. In der Praxis bedeutet dies, Kommunikations-, Beratungs- und Serviceleistungen zu etablieren, die vom Kunden tatsächlich als Leistung wahrgenommen werden. In eigenen großangelegten Studien im Handel haben wir nachgewiesen, dass eine deutliche Kundenmehrheit bereit ist, im stationären Handel mehr zu zahlen, wenn dafür die entsprechende Leistung angeboten wird. Essentiell dafür ist allerdings, dass die Einzelhändler (endlich) lernen, was ihre Kunden wirklich wollen – also entsprechende Marktforschung betreiben und ihr Leistungsspektrum daran orientieren. Last but not least: Fähige Verkäufer sind fast immer der entscheidende Faktor für eine gute bis exzellente Kundenbindung. Die Wünsche ihrer Kunden nehmen sie tagtäglich in sehr konkreter Weise wahr. POS-Systeme sind aus Kundenperspektive sicher oft eine ‚witzige Ergänzung‘ – die Weichen für einen nachhaltigen Markterfolg werden sie kaum alleine stellen.
Fazit:
- Der stationäre Handel reagiert auf die Online-Konkurrenz mit defensiven Strategien.
- Die Einzelhändler sollten sich dagegen auf ihren eigentlichen USP – individuelle Kommunikation, Service und Beratungskompetenz – besinnen.
- Ein exzellentes Preis-Leistungsverhältnis wirkt bei der Mehrheit der Kunden als Kaufanreiz im stationären Handel.
Quellen:
https://bosch-ag.com/das-problem-von-der-doppelprioriaet-im-stationaeren-handel/
http://www.wiwo.de/unternehmen/handel/online-angreifer-die-bedrohtesten-haendler-deutschlands/9680678.html
http://blogs.hbr.org/2014/04/think-beyond-mobile-vs-desktop-shoppers/
Lebensmittelzeitung vom 11.4.2014 (Print-Ausgabe):
Neuer Cross-Channel-Ansatz: Auchan bringt Shopping-Center-Modell ins Netz
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