Mitarbeiterbindung: Werte und Vertrauen versus Verführung?

Auf die emotionale Mitarbeiterbindung kommt es an! Dieser Satz ist fast schon eine Binsenweisheit, hat allerdings seine Tücken. Vor nicht allzu langer Zeit lieferte die aktuelle Edition des ‚Gallup Engagement Index‘ neue Daten, die wenig optimistisch stimmen: Rund 17 Prozent der bundesdeutschen Arbeitnehmer befinden sich in der inneren Kündigung, 67 Prozent machen an ihren Arbeitsplätzen vorzugsweise Dienst nach Vorschrift. Die um sich greifende Demotivation der Mitarbeiter ist vor allem ein Ergebnis falscher Führung. Als Gründe dafür nennen die befragten Mitarbeiter beispielsweise, dass Chefs die Ideen ihrer Angestellten schlicht für störend halten, dass sie nicht über ausreichende Ressourcen verfügen, um ihre Arbeit gut zu machen oder an ihren Arbeitsplätzen kaum Anerkennung oder persönliche Wertschätzung erleben. Das Gallup-Fazit lautet, dass – nicht nur hierzulande, sondern weltweit – viele Führungspositionen falsch besetzt sind, was die Unternehmen pro Jahr Beträge in Milliardenhöhe kostet.

Dass eine ‚gute‘ Mitarbeiterbindung über den Erfolg von Unternehmen entscheiden kann, ist auch in den Chefetagen seit längerem angekommen. Durch den ‚Kampf‘ um die knapper werdenden Talente wird sich die Notwendigkeit dafür in Zukunft noch verstärken. Vielen Firmen ist dabei jedoch vor allem klar, um WAS es dabei geht. WIE das Ziel einer nachhaltigen Mitarbeiterbindung wirklich zu erreichen ist, bleibt dabei im Dunkeln. Unsere Beispiele zeigen, wie schmal der Grat zwischen Werten und Vertrauen vs. Verführung in der Praxis sein kann.

Silicon Valley: Das Unternehmen wird zum erweiterten Zuhause

Im kalifornischen Silicon Valley hat sich die (vermeintliche) Elite der globalen Wissensarbeiter angesiedelt. Internetkonzerne wie Google, Facebook & Co. haben einen nahezu unersättlichen Bedarf an hochqualifizierten Arbeitskräften. Für eine effektive Mitarbeiterbindung haben sich die Unternehmen fast unisono für den gleichen Weg entschieden: Sie nehmen ihren Mitarbeitern alle Erfordernisse des Alltags so weit wie möglich ab. Auf dem Firmencampus gibt es rund um die Uhr ein exzellentes Catering sowie attraktive – und im normalen Leben teure – Sport- und Freizeitmöglichkeiten. Das kostenlose Firmenessen in Sternekoch-Qualität kann gerne als Take-away nach Hause mitgenommen werden. Für den Arbeitsweg haben die Mitarbeiter die Wahl zwischen einem subventionierten Firmenwagen oder einem WLAN-Bus. Bei Familienereignissen wie der Geburt oder auch der Adoption eines Kindes gibt es nicht nur Glückwünsche, sondern auch einen sehr großzügig bemessenen Scheck der Firma. Google-CEO Larry Page formulierte den damit verbundenen Anspruch vor zwei Jahren in einem Interview durchaus mit Start-up-Romantik: Es sei wichtig, dass das Unternehmen wie eine Familie auftritt und von den Mitarbeitern auch so wahrgenommen wird.

Die Folge: Nicht nur für die Mitarbeiter von Google verschwimmen die Grenzen zwischen Arbeit und Privatem immer stärker. Dafür, dass sich auch in der ohnehin knapp bemessenen freien Zeit niemand einsam fühlt, sorgen Abend- und Wochenendangebote durch die Firma. Anne Weisberg vom New Yorker ‚Families and Work Institute‘ meint, dass das Silicon Valley damit auch die Werte seiner Firmenlenker reflektiert: Umfassende Vernetzung und die Definition des individuellen Lebens durch den Arbeitsplatz, was nicht nur positive Folgen hat. Für viele der rundum betreuten Mitarbeiter verlieren Kontakte zur Außenwelt außerhalb des Unternehmens zunehmend ihren Sinn.

Mitarbeiterbindung in Deutschland: Nicht nur das Gehalt zählt

So weit wie im Silicon Valley sind die Bemühungen deutscher Unternehmen um Mitarbeiter und Bewerber noch nicht gediehen – und werden dies wohl auch in absehbarer Zukunft nicht. Auch in diesem Jahr machten beim Ranking der besten deutschen Arbeitgeber wieder die großen Automobilhersteller das Rennen, die bei Hochschulabsolventen wirtschafts- und ingenieurwissenschaftlicher Fächer durch anspruchsvolle Jobs ebenso wie durch Bodenständigkeit, hohe Gehälter und soziale Sicherheiten punkten können. Auch die Pharmaindustrie sowie die lange Zeit eher abgeschlagenen Beratungs- und Wirtschaftsprüfungsunternehmen legten durch die Fokussierung auf Faktoren wie Work-Life-Balance in diesem Jahr wieder um einige Punkte zu. Deutlich wird jedoch auch, dass viele deutsche Firmen meinen, dass bei einer nachhaltigen Mitarbeiterbindung sehr wettbewerbsfähige Gehälter im Fokus stehen. Aus unserer Sicht stimmt dies jedoch nur bedingt: Aus einer aktuellen Studie des Geschäftsbereiches Careerloft/Embrace der Medienfabrik Gütersloh geht hervor, dass sich die Generation Y respektive die umworbenen Talente von ihrem ‚idealen Job‘ nicht nur faire Gehälter oder Aufstiegschancen, sondern ebenso ‚Lebenstiefe und Selbstverwirklichung‘ wünschen.

Unser Fazit: Nachhaltige Mitarbeiterbindung bedeutet nicht, die Mitarbeiter durch jeden erdenklichen Komfort im Unternehmen zu manipulieren. Aus unserer Sicht kommen in einer Position, wie Google-Chef Larry Page sie gegenüber seinen 48.000 Mitarbeitern respektive ‚Familienmitgliedern‘ vertritt, revolutionäre ‚Weltverbesserungs-Phantasien‘ ebenso wie Allmachtsgedanken zum Tragen.
Besonders der Artikel des Manager Magazins macht nachdenklich. Was im ersten Moment nach dem Paradies des Arbeiters klingt, hat im ‚Nachgeschmack‘ beinahe religiöse oder faschistoide Züge:

  • Separation und Selektion der ‚Auserwählten’…. auch räumlich in geschlossenen Anlagen (sog. ‚gated communities‘)
  • Die Wohltaten stehen natürlich nur Mitarbeitern (und deren Angehörigen) zu
  • Zitate aus dem Artikel:
    „All diese Leistungen geben mir das Gefühl, dass meine Familie eine natürliche Erweiterung meines Jobs ist.“
    „Jeder Aspekt meines Leben ist mit der Arbeit verbandelt, inklusive mein gesellschaftliches Leben und die Partnersuche“
    Viele ‚Wohltaten‘ greifen in den persönlichen Lebensbereich ein, damit sich der Mitarbeiter voll auf die Arbeit konzentrieren kann. Damit wird auch offenbar: Arbeit und ‚eigenes Volk‘ haben den höheren Stellenwert!
  • Der ‚goldene Käfig‘ fördert die (freiwillige Selbst-)Überwachung
  • Der ‚goldene Käfig‘ mindert interne (moralische) Kritik am in sich geschlossenen Weltbild
  • Das Heilsversprechen wird auch gleich mitgeliefert: das ewige Leben

Hier geht es schon nicht mehr um Vertrauen, auch wenn davon geredet wird. Hier geht es vielmehr um Abhängigkeit, Deutungshoheit, Besänftigung. Wer sich auf das Füllhorn der Wohltaten der ‚Gemeinschaft‘ einlässt, das kein Denken außerhalb des beruflichen Tätigkeit erfordert, der stellt sich wie gesagt weniger moralische Fragen, der äußert weniger Kritik und der ‚hält eher dicht‘. Echte Führung wird durch Verführung ersetzt. Woran erinnert uns das?

Fazit:

  • Unser Gegenbild gegen die Verführungen einer schönen, neuen Firmenwelt besteht in echten Werten und Vertrauen.
  • Für ihre Etablierung im Unternehmenskontext sind die kommunikativen und sozialen Kompetenzen jeder Führungskraft gefragt.
  • Gute Führung schafft den Raum für intrinsische Motivation, echte Bindung über geteilte Werte und auf dieser Basis auch für eine nicht „fremdgesteuerte“ Performance.

Handlungsempfehlungen:

  • Fangen Sie gar nicht erst damit an, Mitarbeiter nur mit Vergünstigungen zu ködern. Was nicht heißen soll, knausrig zu sein.
  • Beschäftigen Sie sich wirklich mit Ihren Mitarbeitern. Führungskräfte werden schließlich dafür bezahlt zu führen.
  • Verwechseln Sie das ‚Überzeugen‘ von Menschen nicht mit deren ‚Erpressung, Verführung oder Gefügigmachung‘. Wenn Mitarbeiter nur aufgrund extrinsischer Anreize bleiben, sollte Ihnen das zu denken geben.

Quellen:
http://www.spiegel.de/wirtschaft/unternehmen/gallup-studie-17-prozent-der-arbeitnehmer-haben-innerlich-gekuendigt-a-961667.html
http://www.manager-magazin.de/unternehmen/it/google-facebook-evernote-verwoehnen-mitarbeiter-mit-wellness-a-963437.html
http://www.personalmarketingblog.de/karriere-trifft-sinn-was-verstehen-studierende-unter-karriere
http://www.wiwo.de/erfolg/jobsuche/arbeitgeber-ranking-2014-deutschlands-beliebteste-arbeitgeber/9803076.html