Recruiting für die Chefetage: Vom begehrten Schwan zum Entlein?

Deutsche Unternehmen und deutsche Arbeitnehmer jammern. Um die Personalpolitik in vielen Unternehmen steht es offensichtlich nicht zum Besten. In den Firmen grassieren Befürchtungen vor einem um sich greifenden Mangel an Fach- und Führungskräften. Viele Personalexperten und Fachabteilungsleiter finden vor allem das Recruiting für die Chefetage bereits heute schwierig. Die Mitarbeiter vieler Unternehmen leiden nur allzu oft unter Chefs, denen grundlegende Führungsfähigkeiten zu fehlen scheinen. Der „Gallup Engagement Index 2013“ weist aus, dass sich 17 Prozent der bundesdeutschen Arbeitnehmer längst für die innere Kündigung entschieden haben, als Ursache dafür benennen sie vor allem mangelhafte Führung. Was ist also los in deutschen – und ebenso in internationalen – Chefetagen? Und was machen die Personaler falsch? Schauen wir uns einmal an, was verschiedene Publikationen dazu sagen.

Psychopathen in der Chefetage?

Die letzte Krise hat auch den guten Ruf des Managements recht nachhaltig beschädigt. Noch vor wenigen Jahren galten Top-Manager als exzellente, wenn auch oft rücksichtslose Macher – heute laufen sie Gefahr, dass ihnen Öffentlichkeit und Mitarbeiter bescheinigen, dass sie viele Persönlichkeitseigenschaften mit Psychopathen teilen. Der kanadische Psychiater Robert Hare hat zeitlebens die Grundlagen des Wahnsinns untersucht. Psychopathen verletzen demnach permanent gesellschaftliche Regeln und sind seelisch schwer gestört. Fatal: Laut einer Studie von Hare und seinem Kollegen Paul Babiak ist dieser Menschentyp auf dem Chefsessel deutlich häufiger vertreten als in der Gesamtbevölkerung. In ihren Unternehmen galten die verhaltensauffälligen Manager allerdings nicht als Psychopathen, sondern als brillante Kommunikatoren, Innovatoren und Strategen. Für die Bundesrepublik schätzt der Bremer Neurobiologe Gerhard Roth, dass jede zehnte Führungskraft psychopathische Persönlichkeitsmerkmale – manipulatives Verhalten, fehlende Empathie oder Narzissmus – zeigt. Im Klartext: Viele Manager verfügen zwar über fachliche Exzellenz, aber über wenig bis keine soziale Kompetenz.

Massive Fehler im Recruiting

Eine Studie der Firma Cornerstone OnDemand – einem Anbieter von Talentmanagement-Software – hat die Recruiting-Praxis in 100 europäischen Unternehmen untersucht. Deutschen Unternehmen bescheinigte die Untersuchung deutliche Recruiting-Defizite: Einen Mangel an Talenten sehen die Studienautoren in Deutschland nicht – wohl aber, dass viele Firmen nicht in der Lage sind, sie aufzuspüren. Viele Unternehmen investieren Zeit und beträchtliche Ressourcen, um ihren Führungsnachwuchs auf dem Arbeitsmarkt zu rekrutieren. Talente in der eigenen Firma fristen dagegen oft ein Schattendasein und sehen sich, falls sie sich eine Karriere wünschen, irgendwann gezwungen, sich neu zu orientieren. Wenn – immerhin bei einem Drittel der vakanten Stellen – ein interner Mitarbeiter zum Zuge kommt, wird nicht selten die falsche Person befördert, da die Entscheidung ausschließlich durch die fachliche Qualifikation begründet wird.

Auch das altbekannte Ritual der Vorstellungsgespräche hat für ein erfolgreiches Recruiting ausgedient. Meist laufen sie auf einen standardisierten Dialog, der aus Sicht der Studienautoren vor allem „Laientheater“ ist, hinaus. Außerdem tendieren viele Chefs dazu, nur Kandidaten einzustellen, die ihnen selber ähnlich sind. Die Folge: Im Alltag erweisen sich die „begehrten Schwäne“ oft als „hässliches Entlein“, die ihren Führungsaufgaben nicht oder kaum gewachsen sind. 37 Prozent der neu eingestellten oder beförderten Kandidaten erweisen sich nach anfänglicher Euphorie als Fehlbesetzung. Mit besseren Recruiting-Ergebnissen könnten die Unternehmen rechnen, wenn sie vor allem die „Haltung und die Leidenschaft“ ihrer Bewerber prüfen würden, statt Zeugnisse, Referenzen und Fremdsprachenkenntnisse abzufragen.

Plädoyer für einen Paradigmenwechsel: Persönlichkeitszentriertes Recruiting

In einem früheren Artikel haben wir uns mit den Problemen vieler Unternehmen bereits beschäftigt. Unsere Metapher für die aktuelle Situation war seinerzeit ein fast schon leer gefischter See, in dem „1.000 Angler“ – die Personalexperten der Firmen – relativ erfolglos Beute machen wollen. Die meisten Unternehmen wünschen sich für offene Stellen den „perfekten“ Kandidaten und sind bereit, beträchtliche Ressourcen in die Auswahl der passenden Bewerber und die Entwicklung immer neuer Recruiting-Tools und Strategien zu investieren.

Wir plädieren vor diesem Hintergrund für einen grundsätzlichen Paradigmenwechsel: Abschied von der Idee, dass es den „fertigen Mitarbeiter“ für eine bestimmte Position draußen auf dem Arbeitsmarkt oder irgendwo im Unternehmen bereits gibt und die Entwicklung von Recruiting-Ansätzen, die sich auf die Persönlichkeitseigenschaften der Bewerber, ihre sozialen Kompetenzen und ihre Führungspotenziale fokussieren. Ein solches persönlichkeitszentriertes Recruiting hätte allerdings weiterführende Change-Prozesse in der Personalarbeit und in der Führungskultur zur Folge. Die Entwicklung von Führungseigenschaften, Führungspersönlichkeiten und der Kultur des Unternehmens insgesamt müsste als Prozess gesehen werden. Für die Entscheider in den Firmen hieße das, statt in die Perfektionierung eines eher formalen Recruitings in aufgaben- und personenbezogene Coachings für ihre Mitarbeiter zu investieren.

Praxistipps:

  • Verabschieden Sie sich von der Idee, dass Sie für Ihr Unternehmen „perfekte Mitarbeiter“ rekrutieren können – investieren Sie stattdessen in gezielte Personalentwicklung.
  • Persönlichkeitszentriertes Recruiting ermöglicht Ihnen, Mitarbeiter zu finden, die durch ihre innere Haltung und ihre Persönlichkeitseigenschaften für eine Führungsposition geeignet sind.
  • Bieten Sie Ihren Führungskräften und Mitarbeitern individuelle Coachings an.

Quellen:
https://bosch-ag.com/nachhaltiges-recruiting-make-buy/
http://www.spiegel.de/wirtschaft/unternehmen/gallup-studie-17-prozent-der-arbeitnehmer-haben-innerlich-gekuendigt-a-961667.html
http://www.wiwo.de/erfolg/management/psychopathen-im-buero-wahnsinns-typen-auf-der-chefetage/10229310.html
http://www.wiwo.de/erfolg/management/schlechte-personal-suche-unternehmen-sind-selbst-schuld-am-fachkraeftemangel/10288404.html