Amazon: Jeff Bezos‘ schöne neue Einkaufswelt?

Amazon ist der weltweit grösste Online-Händler und mindestens ebenso mächtig wie die Internet-Konzerne Facebook oder Google. Das Besondere daran: Firmenlenker Jeff Bezos und sein Unternehmen agieren an der Schnittstelle zwischen virtueller und realer Welt. Rund um den Kunden als dem eigentlichen Herrscher – und der ultimativen Quelle von Profit – hat Bezos eine globale Effizienzmaschine aufgebaut. Durch Amazon ist Kaufen im 21. Jahrhundert so einfach wie nie zuvor geworden – der Konzern aus Seattle hat alles im Programm: Bücher, Online-Medien, Kleidung, Unterhaltungs- und Haushaltselektronik ebenso wie Katzenfutter. Amazons Prime-Programm sowie eine Abonnements-Option für 29 Euro jährlich garantieren inzwischen auch deutschen Kunden die Lieferung frei Haus in nur einem Arbeitstag – nach den USA ist Deutschland heute mit Umsätzen von neun Milliarden US-Dollar im Jahr der zweitwichtigste Markt. In den Vereinigten Staaten selbst dehnt Jeff Bezos sein Imperium inzwischen auch auf weitere Bereiche aus – der Konzern experimentiert mit dem Online-Verkauf von frischen Lebensmitteln von der Tiefkühlpizza bis zum Frühstücksei. Damit stehen mindestens zwei grundsätzliche Fragen im Raum: Ist der Online-Gigant der Prototyp der schönen neuen Einkaufswelt? Und welche Zukunft hat angesichts der Omnipräsenz von Amazon der Einzelhandel?

Jeff Bezos – der „visionäre Macher“

Aus Sicht von Jeff Bezos liegt die Shopping-Zukunft eindeutig bei Amazon. Sich selber sieht er als Innovator und „visionären Macher“, der sein Unternehmen mit harter Hand und in Spitzenzeiten wie dem Vorweihnachtsgeschäft auch unter Kriegsbedingungen führt. Bezos‘ Mantra lautet: König – oder besser Kaiser – ist der Kunde. Von Mitarbeitern, die zu seinem Unternehmen passen, erwartet er, dass sie bereits beim morgendlichen Duschen an diesen Imperator denken. Die Motivation und Energie von Amazon kommt aus Bezos‘ Sicht nicht aus der Relation des Konzerns zum Wettbewerb, sondern ausschließlich daher, „dass wir an den Kunden denken“. Inwiefern dieses Konzept betriebswirtschaftlich unterlegt ist, wird Amazon allerdings noch beweisen müssen. Im dritten Quartal 2013 meldete der Konzern bei einem Gesamtumsatz von 17,1 Milliarden US-Dollar Verluste von 41 Millionen Dollar. Die Aktien des Konzerns befinden sich trotz Bezos‘ risikoorientierten Managements langfristig im Aufwind.

Das Fußvolk – moderne Arbeitssklaven

Auf das Fußvolk, die in den Amazon-Logistikzentren tätig sind, schlägt Bezos‘ Effizienzphilosophie auf andere Weise durch. „Stern“-Reporter Thilo Mischke hat sich zeitweilig in das Heer der Aushilfskräfte eingereiht, die Amazon in Deutschland helfen, das Weihnachtsgeschäft zu stemmen. Die positive Seite: Amazon fragt bei seinen Mitarbeitern an der Basis nicht nach Ausbildung und Herkunft, auch woanders Chancenlose bekommen in seinen gigantischen Lagerhallen eine Chance. Der Preis dafür ist hoch: Mit dem Eintritt in das Unternehmen unterwerfen sie sich einem digitalen Effizienz- und Normsystem, das jeden Arbeitsschritt bis ins Kleinste regelt und sogar die Pausenzeiten bis auf die Sekunde misst. Wer die Vorgaben nicht erfüllen kann, ist so schnell, wie er gekommen ist, wieder draußen. Krankheitstage werden dann genehmigt, wenn der betriebseigene Sanitäter feststellt, dass der Arbeitnehmer wirklich krank ist – ansonsten droht auch in diesem Fall die Kündigung. Digitale Überwachung gehört ebenso wie ständige Maßregelungen und Minimalgehälter zum Alltag der Amazon-Belegschaft. In den USA lässt Jeff Bezos mittlerweile testen, inwiefern Roboter die menschliche Arbeitskraft ersetzen können. Die Welt ist aus der Sicht von Amazon eine „Ansammlung von Kunden“, deren Bedürfnisse es immer besser – und immer effizienter – zu erfüllen gilt.

Der Kunde … diversifiziert sich perspektivisch zwischen Internet und stationärem Handel

Auf den ersten Blick goutiert „Imperator Kunde“ das Amazon-System durchaus – anders wäre der Erfolg des Unternehmens nicht erklärbar. Die deutsche Amazon-Seite wird pro Monat von rund 30 Millionen realen und potentiellen Kunden angeklickt. Der Hirnforscher und Psychologe Hans-Georg Häusel formuliert einen Erklärungsansatz dafür: Online-Shopping bediene unsere faulen und vor allem unsere infantilen Seiten. Der Klick auf den Amazon-Einkaufsbutton garantiert, dass Bedürfnisse sofort befriedigt werden – ein dreijähriges Kind, das unbedingt ein Eis will, verhält sich durchaus ähnlich.

Zumindest in der bundesdeutschen Praxis stellt sich die Einkaufswelt jedoch etwas differenzierter dar, als Jeff Bezos sich das erträumt. Zwar belegt eine Studie des Marktforschungsinstitutes Infratest, wie stark das Internet und vor allem die Smartphones das Kaufverhalten deutscher Kunden verändert haben. Vier von fünf Smartphone-Usern haben nach einer Beratung im stationären Handel und einem Online-Preisvergleich schon mindestens einmal das billigere Online-Angebot gekauft. Eine Studie der Unternehmensberatung Roland Berger mit 42.000 Kunden kommt allerdings zu einem der Tendenz nach anderen Schluss: Die Umsätze von „Showroomern“ – also von Kunden, die sich im Laden informieren, aber online kaufen – belaufen sich auf rund sechs Milliarden Euro. Diejenigen Kunden, die nach einem Online-Produkt- und Preisvergleich im Laden kaufen, haben mit 68 Milliarden jedoch zehnmal höhere Umsätze erbracht.

Der Bamberger Unternehmer Hans Thomann – Europas größter Musikalienhändler, der gerade den deutschen Handelspreis erhalten hat – illustriert mit seiner Firmenstrategie, welche Zukunftsperspektiven der Einzelhandel hat: Sein Handelshaus mit über 1.000 Mitarbeitern, einem Lagersortiment mit 200.000 Waren und einem Callcenter mit 17 Sprachen kombiniert erfolgreich Ladengeschäfte und E-Commerce. Sein Service-Konzept basiert auf dem stationären Handel und wird von dort aus in gleicher Qualität auf das Online-Business übertragen. Zwar macht das Unternehmen heute den Großteil seiner Umsätze im Internet, die Ladengeschäfte sind jedoch für ihn und seine Kunden unverzichtbar. Neben umfassender Beratung, Drei-Jahres-Garantie und einem 30-tägigen Rückgaberecht bietet Thomann seinen Kunden ausserdem hochwertige, aber günstige Eigenmarken an. Das Internet braucht Hans Thomann nicht zu fürchten – er ist überzeugt, dass es in Zukunft völlig verschiedene Kundentypen gibt und somit auch der stationäre Handel eine Zukunft hat.

Praxistipps:

  • Der stationäre Handel hat auch im Zeitalter von Amazon & Co. nicht ausgedient, wenn er schafft, seine Alleinstellungsmerkmale zu nutzen.
  • Kunden erwarten vom stationären Handel individuelle Beratung, persönlich maßgeschneiderte Kommunikation und Information sowie den physischen Kontakt zu hochwertigen Produkten.
  • Multichanneling kann für Handelsunternehmen Synergien schaffen – das Ladengeschäft definiert dabei die Service-Qualität, die auf das E-Commerce erweitert wird, ohne dem Laden seine wirtschaftliche Existenzfähigkeit zu nehmen.

Quellen:
„Stern“, No. 51/2013, Haben Wollen – Wie Amazon unsere Weihnachtswünsche erfüllt.
Bayerischer Rundfunk, B5 Aktuell, Im Laden beraten, im Netz gekauft: Das Showrooming-Problem