Nutzlose Kalender
oder: „Zehn Dinge, die sich Arbeitnehmer stärker wünschen als Beförderungen“
Stephen R. Coveys Business-Bibel „The Seven Habits of Highly Effective People“ (Die sieben Verhaltensweisen hocheffektiver Menschen, 1989) ist Legende und einer der absoluten Bestseller auf dem globalen Buchmarkt. Er wurde bisher mehr als 15 Millionen Mal verkauft und in 38 Sprachen übersetzt. Im Internet finden sich die „Seven Habits“ in zahlreichen Variationen – als Kurztexte von Eins bis Sieben ebenso wie als mehr oder weniger humorgeprägte Infografik.
Ausgerechnet diese Reduktionen haben zahlreiche Nachahmer gefunden. Ihre Autoren übersehen, dass hinter Coveys „Liste“ ein recht komplexes Buch steht, hinter dem seine persönlichen Erfahrungen mit Effektivität und seine Sicht auf „Business Ethics“ stehen. Die meisten an Covey angelehnten Aufzählungen sind dagegen „nutzlose Kalender“, die zwar angenehme Aussagen formulieren, jedoch über keinerlei Substanz verfügen.
Nutzloser Kalender: „10 Things employees want more than a raise“
Wir haben uns einen solchen „nutzlosen Kalender“ etwas näher angesehen. Die „Zehn Dinge, die sich Arbeitnehmer stärker wünschen als Beförderungen“ kolportieren schon auf den ersten Blick eine Binsenweisheit. Natürlich möchten die meisten Menschen nicht nur des Geldes halber zur Arbeit gehen, sie wünschen sich Inhalte und Motivation, positive Arbeitsbeziehungen und Erfolge, sie möchten sich mit ihrem Unternehmen und seiner Kultur identifizieren können. Was Sie als Führungskraft dafür tun können, dass Ihre Mitarbeiter dieses Ziel erreichen ist jedoch eine ganz andere Frage.
Nun, genau auf diese möchte der „10-Things-Kalender“ ja eine Antwort geben. Lassen Sie uns schauen – immerhin erklärt der Autor, dass der Text aus Gesprächen mit mehreren hundert Arbeitnehmern über ihre Chefs und Arbeitsstellen entstanden ist. Mitarbeiter wollen demnach:
- stolz auf ihre Arbeit sein – sogar bei einem undankbaren Job – und bei anderen wegen ihrer Arbeit zumindest etwas „Eindruck schinden“.
- fair behandelt werden, da bereits das Leben unfair ist. Chefs sollten das berücksichtigen und hart arbeitende Menschen von Schmeichlern/Karrieristen unterscheiden können.
- Respekt von ihrem Chef bekommen und diesen respektieren können. Er sollte zeigen, dass sie ihre Loyalitäten nicht verschwenden.
- gehört und in ihrer Meinung ernst genommen werden. Anderenfalls gehen sie davon aus, dass sie für ihren Chef keinerlei Wert besitzen.
- ein privates Leben haben – und zwar auch und vor allem, wenn sie im Job ihr Bestes geben.
- ein Coaching von ihrem Chef erhalten, wenn sie darum bitten oder auch, wenn sie schon so in Schwierigkeiten stecken, dass sie sich nicht trauen, danach zu fragen. Sie wünschen sich normalerweise die permanente Präsenz des Chefs im Hintergrund.
- dass wirklich negative Kollegen, die es in jeder Firma gibt, gefeuert werden. Falls ihr Chef es nicht tut, wird er vom Rest des Teams als „Dummkopf“ oder „Schwächling“ angesehen.
- weniger Stress und Arbeitsdruck. Gute Chefs planen, antizipieren Probleme, geben realistische Ziele vor und tragen so zur Stressvermeidung bei.
- zumindest für einen absehbaren Zeitraum eine Sicherheit des Arbeitsplatzes.
- den wettbewerbsfähigsten respektive den auf dem Markt in dieser Hinsicht „besten“ Arbeitgeber.
Die Konsequenz daraus: Unternehmen und Führungskräfte motivieren durch die Berücksichtigung dieser zehn Punkte ihre Mitarbeiter in einem Maße, dass diese auch dann zu Höchstleistungen bereit sind, wenn ihre Arbeit schlechter oder sogar viel schlechter bezahlt wird als in vergleichbaren Firmen.
Gute Führung ist keine Einbahnstraße!
Abgesehen davon, dass die Schlussfolgerung aus dem Zehn-Punkte-Plan zur Mitarbeitermotivation recht menschenverachtend ist, auf den Mitarbeiter als bloßen Kostenfaktor abstellt und der „Kalender“ damit vor allem eine manipulative Funktion erfüllt: Haben Sie bei seiner Lektüre irgendetwas erfahren, was Ihnen in Ihrem Alltag als Vorgesetzter auf einer praktischen Ebene wirklich hilft?
Wir glauben: Nein – der Autor gibt lediglich zehn Statements darüber ab, WAS aus seiner Sicht zu einer maximalen Motivation der Mitarbeiter führen könnte. WIE diese Ziele zu erreichen sind, bleibt jedoch im Dunkeln. Zudem scheint er sich Führung als simple Kausalkette vorzustellen: Wenn der Chef dieses oder jenes tut, wird der Mitarbeiter automatisch in der gewünschten Weise reagieren.
Reale, fachlich und auch menschlich positive Führung fokussiert sich dagegen weder auf das WAS noch geht es dabei um eine „Einbahnstraße“. Vielmehr tragen Sie als Führungskraft – idealerweise – die Verantwortung für das Wissen, das Können und die Fähigkeiten jedes einzelnen Ihrer Mitarbeiter. Gute Führung bedeutet nicht, Mitarbeiter durch einige psychologische Tricks so zu manipulieren, dass diese machen, was der Vorgesetzte will, sondern die Potentiale aller Teammitglieder zu erschließen, einen produktiven Raum zu schaffen, in dem diese optimal zum Tragen kommen und mit dem Blick auf die Erfüllung der Unternehmensziele zu koordinieren. Wenn Sie die Fähigkeiten Ihrer Mitarbeiter mit dieser Zielrichtung entwickeln, erhöhen Sie damit automatisch die Performance Ihres Teams und schaffen eine Win-Win-Situation für alle Seiten. Dafür benötigen Sie fachliche Expertise, soziale Kompetenzen, eine Portion Menschenkenntnis und die Bereitschaft, Ihre eigenen Führungsqualitäten durch harte Arbeit zu entwickeln. Ein abstraktes oder – wie in unserem Beispiel offen manipulatives – Management-„Programm“ hat darin nichts zu suchen.
Praxistipps:
- Gute Führung entfaltet die Fähigkeiten jedes einzelnen Mitarbeiters in optimaler Weise. Die Verantwortung dafür tragen Sie als Führungskraft.
- Sie ist ein Teamprozess, in dem Sie mit Ihren Mitarbeitern in ständigem Austausch stehen.
- Indem Sie als Vorgesetzter eine Win-Win-Situation für Ihre Mitarbeiter und Ihr Unternehmen schaffen, motivieren Sie Ihr Team auf faire Art und Weise.
- Motivierende Führung erfordert Transparenz, Feedback sowie klare Vorgaben und Ziele.
Quellen:
https://bosch-ag.com/die-anti-mckinsey-wende-unternehmensberatungen-in-der-krise-teil-1//management-by-objectives-mbo-grosse-fuehrung-luege/
http://en.wikipedia.org/wiki/The_Seven_Habits_of_Highly_Effective_People
http://www.inc.com/geoffrey-james/10-things-employees-want-more-than-a-raise.html