Das Jahresendgespräch
oder: Der Mitarbeiter als die Maus im elektrifizierten Labyrinth?
Das Jahresendgespräch gehört zu den ungeliebten Terminen vieler Mitarbeiter und ihrer Vorgesetzten. Einmal im Jahr geht es um „alles oder nichts“ – von der Beurteilung zum Jahresende hängt in vielen Fällen ab, ob und inwiefern ein Mitarbeiter als bonus- und beförderungswürdig angesehen wird, im Extremfall auch darum, ob die Chefs seinen weiteren Verbleib im Unternehmen wünschen.
In den USA demonstriert Yahoo-Chefin Marissa Meyer gerade, wie verfehlte Beurteilungs-Routinen das Vertrauen der Mitarbeiter in ihr Unternehmen nachhaltig zerstören können. Nach Jahren des Missmanagements und des Größenwahns wurde die 37-jährige Meyer, vormals Top-Managerin bei Google, an die Spitze des Internet-Konzerns berufen, um dort gründlich aufzuräumen. Offensichtlich hat sie sich dabei für die ganz alte Schule von „Neutronen-Jack“ entschieden.
Von „Stars“ und „Zitronen“
Jack Welch, der frühere CEO von General Electric, gilt als Vordenker des Shareholder Value und globale Management-Legende. Die Mitarbeiter eines Unternehmens betrachtet Welch primär als Kostenfaktor. Durch seine „20-70-10-Regel“ zur Mitarbeiterbewertung sollen sie einerseits durch interne Konkurrenz und Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes zu permanenten Höchstleistungen getrieben werden, andererseits als beliebig austauschbare Manövriermasse des Konzerns fungieren. Die Formel definiert die besten 20 Prozent einer Belegschaft als „Stars“, die maximal zu fördern sind. 70 Prozent repräsentieren den Unternehmensdurchschnitt. Die unteren zehn Prozent gelten als „Zitronen“ und können jederzeit entlassen werden.
Dieses System des „Forced Ranking“ hat Marissa Mayer jetzt für Yahoo übernommen – in einer Zeit, in der sich andere Unternehmen, beispielsweise Microsoft, gerade davon trennen. In vierteljährlichen Quarterly Performance Reviews sollen die Vorgesetzen ihre Mitarbeiter jeweils in fünf vorgegebene Leistungsgruppen unterteilen: Exzellente oder überdurchschnittliche Leistungen dürfen zehn respektive 25 Prozent der Yahoo-Mitarbeiter haben. 50 Prozent erfüllen mit ihrer Arbeit die Unternehmensziele. Zehn Prozent zeigen dabei gelegentliche Schwächen, fünf Prozent gelten als Minderleister. Die Angehörigen der letzten beiden Gruppen stehen potentiell auf der Entlassungsliste des Konzerns.
Selbst wenn in einem Team ausschließlich brillante Mitarbeiter tätig sind, wäre die Führungskraft gezwungen, sie anhand dieser Vorgaben zu unterteilen. In der Branche gilt Meyers Entscheidung angesichts der schlechten Performance von Yahoo als Entlassungs-Tool. Das US-amerikanische IT-Blog „All Things D“ weiß von bisher 600 auf dieser Grundlage gefeuerten Yahoo-Mitarbeitern zu berichten.
„Forced Ranking“ – Gift für Leistungsbereitschaft und Vertrauen
Für die Motivation der Mitarbeiter, ihre Leistungsbereitschaft sowie ihr grundsätzliches Vertrauen in ein Unternehmen ist eine solche Bewertungsmethode Gift. Wie will ein Vorgesetzter einem Mitarbeiter mit guter Performance im Jahresendgespräch erklären, dass er aus rein formalen Gründen zu den Minderleistern zählt? Und ihn danach, falls überhaupt gewünscht, auf positive – produktive – Weise an das Unternehmen binden? Durch „Forced Ranking“ ist es zudem nicht möglich, „immaterielle“ Leistungen eines Mitarbeiters – beispielsweise den Aufbau nachhaltiger Kundenbeziehungen oder eine wichtige integrative Rolle innerhalb des Teams – angemessen zu bewerten. Die finale Botschaft an den Mitarbeiter lautet, dass er für das Management kein Mensch, sondern nur ein Rädchen im Getriebe ist.
Deutscher Mittelstand: Mitarbeiter binden statt verschrecken
Im mittelständisch geprägten deutschen Unternehmensalltag spielte das „Forced Ranking“ anders als in den USA niemals eine zentrale Rolle bei der Mitarbeiterbewertung. In einer Kolumne für die „Wirtschaftswoche“ erklärt der Inhaber des Textilunternehmens Trigema, warum das Konzept für ein mittelständisches Unternehmensumfeld absolut nicht passt. Ein mittelständischer Betrieb – und vom Grundsatz her auch jedes andere Unternehmen – sei in Zeiten des demografischen Wandels, des sich abzeichnenden Fach- und Führungskräftemangels und zum Teil auch aus Standortgründen darauf angewiesen, gute Leute anzuziehen und dauerhaft zu halten. Unternehmen, die wie Frau Mayer von Yahoo, systematisch leistungsfähige Mitarbeiter entlassen, verlieren auf diese Weise außerdem einen wichtigen Teil ihres produktiven Potenzials.
Trigema hat sich im Übrigen für einen völlig anderen Weg entschieden: Neue Mitarbeiter erhalten zunächst einen auf zwei Jahre befristeten Vertrag, nach dem Bestehen der sechsmonatigen Probezeit bleibt somit ausreichend Zeit, die Leistungsfähigkeit eines Mitarbeiters umfassend zu bewerten. Bei Zweifeln gibt es als letzte Chance ein weiteres befristetes Vertragsjahr. Über jede Entfristung entscheidet der Inhaber persönlich.
Feedback-Kultur in Deutschland: Die Schwachstellen beim Jahresendgespräch
Schwachstellen bei der Mitarbeiterbewertung gibt es in Deutschland allerdings noch von einer anderen Seite. Eine aktuelle Studie der Unternehmensberatung Rochus Mummert unter 1.000 Arbeitnehmern sowie Führungskräften aus dem Personalbereich kam zu dem Ergebnis, dass das Jahresendgespräch in der Mehrzahl der Unternehmen, die sich dafür entschieden haben, zwar professionell geführt wird, es hier jedoch noch große Potentiale gibt:
- 56 Prozent der bundesdeutschen Arbeitnehmer arbeiten in Firmen, in denen es das Jahresendgespräch bisher nicht gibt.
- Ein Abgleich der formulierten Ziele mit der Realität erfolgt nur selten, ebenso die konkrete Umsetzung der getroffenen Zielvereinbarungen im Folgejahr – von vielen Führungskräften und Mitarbeitern wird das Jahresendgespräch deshalb als Alibi-Veranstaltung angesehen.
An der Bedeutung der Jahresendgespräche für den Aufbau einer Vertrauensbasis scheiden sich im Übrigen die Geister: 35 Prozent der Arbeitnehmer glauben, dass von ihnen darin geäußerte Kritik zu Nachteilen bei Gehaltserhöhungen oder Beförderungen führen könne. Personalmanager betrachten das Jahresendgespräch und die damit gegebene Möglichkeit der Meinungsäußerung für die Mitarbeiter dagegen als einen wichtigen Faktor für die Zufriedenheit der Arbeitnehmer mit „ihrem“ Unternehmen und damit auch zur Mitarbeiterbindung.
Praxistipps:
- Betrachten Sie das Jahresendgespräch als Möglichkeit eines fairen, konstruktiven Feedbacks für Führungskraft und Mitarbeiter.
- Definieren Sie für Ihre Mitarbeiter klare Ziele, Leistungsvorgaben und Bewertungskriterien.
- Machen Sie diese für jeden einzelnen Mitarbeiter transparent und nachvollziehbar.
- Messen Sie Ihre Zielvorgaben an der Realität und nutzen Sie Vereinbarungen für das Folgejahr als ein reales – und produktives – Führungsinstrument.
- Beschränken Sie die Feedback-Kultur in ihrem Unternehmen nicht auf einen einzigen Termin im Jahr, sondern schaffen Sie regelmäßige Möglichkeiten für das direkte Gespräch mit ihren Mitarbeitern.
Quellen:
http://www.faz.net/aktuell/beruf-chance/arbeitswelt/mitarbeiterfuehrung-jahresendgespraech-machen-wir-nicht-12685361.html
http://www.wiwo.de/unternehmen/it/100-prozent-grupp-yahoo-chefin-marissa-mayer-sagt-die-unwahrheit/9090804.html
http://meedia.de/internet/marissa-mayers-fieses-entlassungs-tool/2013/11/11.html
http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/menschen-wirtschaft/bewertungssystem-fuer-mitarbeiter-marissa-mayers-neue-leistungsgesellschaft-12663104.html