Digitale POS-Optimierung
Oder: Interessiert sich der Handel überhaupt noch für reale Menschen?
Kennen Sie eigentlich schon Beacons? Falls nicht, werden Sie die neuen digitalen Helfer des stationären Einzelhandels mit Sicherheit bald kennenlernen. Ursprünglich waren Beacons Funkfeuer für den Flugverkehr – heute nehmen sie mit kleinen, kostengünstigen Sendern und Blue Tooth Low Energy (BLE) potentielle Kunden ins Visier. Beacons lotsen den Kunden ins eigene Geschäft oder weisen ihn, wenn er schon im Laden ist, auf Sonderangebote hin. Auf der Retailmesse Euroshop waren sie der absolute Renner. Elektrisiert ist nicht nur der Einzelhandel, sondern auch IT-Anbieter, die sich künftig auf die neuen ‚Wunderwaffen‘ fokussieren wollen. Beacons holen Kunden dort ab, wo der Handel sie vermutet – auf ihrem Smartphone und in der digitalen Welt. Drei Pilotprojekte sind – unter anderem bei Deichmann und Hallhuber – bereits am Start.
Ob der Kunde die neue Spielerei – Verzeihung: innovative Technik – zur Erschließung seiner Potenziale in gleichem Maß goutiert, bezweifeln wir jedoch. Dr. Thorsten Bosch schrieb bereits vor einem knappen Jahr in einem Leitartikel, dass sich der Kunde auch in Zeiten immer subtilerer technisch und multimedial gestützter Verkaufskonzepte der ‚Effizienz‘ des Einzelhandels tendenziell verweigert und stattdessen auf „persönlicher Beratung, Aufmerksamkeit und einer im Grunde unbezahlbaren Individualität“ besteht.
Digitale POS-Optimierung – Multichannel-Ansatz, innovatives Kundenleitsystem und Werbung
Die Verlagerung der POS-Optimierung in die digitale Welt ist scheinbar nicht mehr aufzuhalten. Die Beacons sind dabei nur eine mögliche Facette, die – nach einem recht fulminanten Start in den USA, der maßgeblich von Apple vorangetrieben wurde – jetzt offenbar weltweit Schule macht. Auch Anbieter von digitalen Lösungen wie Toshiba oder Philips treiben diesen Trend. Auf der Euroshop war Toshiba mit einer neuen Kunden-App präsent, mit denen Käufer ihre Neuerwerbungen künftig selber scannen können und bei durch Tablet-Lösungen potentiell mobilen Verkäufern die Ware nur noch bezahlen müssen. Philips entwickelt derzeit ein Instore-Positioning-System, das dem Kunden je nach seinem Standort in einem Markt gezielte Informationen auf sein Smartphone spielt – falls dieser zuvor die entsprechende App geladen hat und das Telefon auch beim Einkauf in der Hand behält. Im Kern geht es bei den Systemen um einen neuen Multichannel-Ansatz, die digitale Optimierung von Kundenleitsystemen sowie ihre Kombination mit aktueller Werbung.
Stationärer Einzelhandel – zwischen innovativen Konzepten und nackter Angst
Die Idee im Hintergrund: Der Kunde von heute braucht zusätzliche Impulse, um ins Geschäft zu kommen und vielleicht sogar zu kaufen. Jedenfalls hoffen die Händler, dass sich die Investitionen in digitale POS-Optimierung am Ende rechnen und die Kunden sich im stationären Handel nicht nur informieren und sich ihre Wünsche dann doch im Internet erfüllen. Innovative und digital gestützte Verkaufskonzepte sind hier nur eine Seite der Medaille – die andere besteht aus nackter Angst. Der stationäre Handel ist durch die Online-Konkurrenz seit Jahren unter Druck – seine Kunden und auch seine Margen schwinden. Der Versuch, in diesem Wettbewerb durch digitale Innovationen zu bestehen, verweist auch darauf, in welchem Maße der Einzelhandel sich inzwischen in der Defensive sieht.
Die Frage ist, ob die digitale POS-Optimierung im Einzelhandel langfristig tatsächlich von Erfolg getragen ist. Zum einen ist der ‚gläserne Kunde‘ über die immer komplexere Antizipation seines Verhaltens und immer neue Standardangebote oft alles andere als glücklich, zum anderen erwecken die neuen Konzepte zunehmend den Eindruck, als ob sie die Kunden über Effekthascherei und technische Spielereien – die ganz nebenbei auch Kundendaten sammeln – in die Geschäfte locken wollen. Demgegenüber erscheint der Kontakt zu den Mitarbeitern des Ladens geradezu unerwünscht und soll nach Möglichkeit selbst an der Kasse vermieden werden… und erfindet daher Selbstbedienungskassen.
Da wundert es kaum, dass die Ausbildung und Schulung der Mitarbeiter im Einzelhandel offensichtlich stark zu wünschen übrig lässt: In der gleichen Ausgabe der ‚Lebensmittelzeitung‘, in der ausführlich über die digitale POS-Optimierung berichtet wird, findet sich eine winzige Randnotiz darüber, dass die Gewerkschaft Verdi dem Handel in der Gestaltung seiner Ausbildungsgänge erheblichen Nachholbedarf bescheinigt. Als Leser muss man lakonisch feststellen, wie sich die Stellenwerte doch verschoben haben.
Entmenschlichung im stationären Einzelhandel?
Ob der stationäre Einzelhandel immer stärker in technische Systeme investiert, weil er seine Mitarbeiter als überflüssigen Kostenfaktor betrachtet, weil man ihnen nicht vertraut oder sie so vernachlässigt hat, dass sie alles andere als Erfolgsgaranten sind, sei einmal dahingestellt. Die allermeisten Handelsketten legen Wert auf eine perfekte Warenpräsentation und messen die Erfolge ihrer Verkäufer vor allem daran.
Dass Kunden von einem optimalen Verkaufsgespräch Kommunikation, Information, Beratung und damit einen menschlichen Zusatznutzen erwarten, gerät jedenfalls völlig aus dem Blick. Der aktuelle Trend zu immer mehr Technik im stationären Handel läuft damit auf jeden Fall ins Leere – letztlich führt er auf beiden Seiten zu Entmenschlichung. Der Kunde ist nur noch ein atmender, konsumierender und datenbankgelenkter Roboter, der Mitarbeiter – falls nicht gleich ganz eingespart, wird zu einem gehobenen Regal-Auffüller degradiert.
Überhaupt: man scheint die Rettung vorrangig darin zu sehen, Kunden durch tolle POS-Gestaltung bzw. dem Erzeugen von Aufmerksamkeit in den Laden zu locken. Es geht also mehr um Besucherfrequenz, unterstützt durch allerlei technische Lösungen. Das Halten der Kunden scheint von weniger Relevanz. Die Frage muss aber erlaubt sein: wo ist das größere Problem des Handels? Im ‚anlocken‘ oder im ‚überzeugen zum Kauf und überzeugen, wieder zu kommen‘ der Kunden? Das zentrale Problem des Handels ist doch in Wahrheit eher zweiteres…!
Fazit:
- Der Trend zur digitalen POS-Optimierung geht an den realen Bedürfnissen der Kunden tendenziell vorbei.
- Mit immer neuen digital gestützten Verkaufsmodellen und -Konzepten „beweist“ der Handel unter anderem, dass er sich von der Online-Konkurrenz getrieben fühlt.
- Der stationäre Einzelhandel sollte sich stattdessen endlich auf seinen tatsächlichen USP besinnen: Persönliche Kundenbeziehungen, professionelle Kommunikation, Beratung – und damit letztendlich auf die für seine Kunden wesentliche Individualität.
Quellen:
https://bosch-ag.com/das-problem-von-der-doppelprioriaet-im-stationaeren-handel/
Lebensmittelzeitung vom 20.2.2014 (Print-Ausgabe):
– Funkfeuer für die Kunden
– Toshiba mobilisiert Handel
– LEDs lotsen Kunden
– Verdi kritisiert Handelsausbildung
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