Welche Grenzen hat die virtuelle Expansion?
Die Expansion im eCommerce erreicht neue Dimensionen. Technik-Freak Jeff Bezos will, dass die bestellten Waren künftig auch per Drohne zu den Kunden kommen, außerdem drängt Amazon ins TV-Geschäft. Zalando plant einen Börsengang trotz ’solider‘ roter Zahlen. Der stationäre Einzelhandel befürchtet ein immer stärkeres Abgleiten in die Defensive.
Aus unserer Sicht beziehen beide Seiten eine falsche Position. Die virtuellen Händler setzen auf Wachstum ohne Grenzen, bei dem Masse, Technologie ebenso wie Hybris eine Rolle spielen. Der stationäre Handel ist sich seiner eigenen Stärken nicht bewusst und betrachtet die Online-Konkurrenz wie die sprichwörtliche Schlange das Kaninchen. Was in den entsprechenden Debatten untergeht, ist die Frage, was Qualität in der Online-Ära eigentlich bedeutet. Die aktuelle Expansion ist – sofern es um die Beziehung zu potentiellen Kunden geht – rein quantitativ bestimmt. Beratung, Kommunikation und somit die menschlichen – qualitativen – Komponenten einer ‚Shopping Experience‘ haben die Online-Handelswelten dagegen nicht zu bieten.
Expansion: Jeff Bezos und die Drohnen
Amazon-Chef Jeff Bezos ließ vor einigen Wochen wissen, dass sein Konzern ein neues Angebot namens ‚Prime Air‘ vorbereite. Die Amazon-Techniker entwickeln dafür derzeit eigene Fluggeräte, die in einigen Jahren kleinere Lieferungen auf dem Luftweg zu den Kunden bringen sollen (siehe: Jezos will Mini-Drohnen einsetzen). Ob es sich dabei um mehr als einen PR-Gag handelt und die Kunden die Drohne vor der Haustür tatsächlich akzeptieren werden, muss zunächst offen bleiben. In Deutschland dürften dieser Praxis außerdem gesetzliche Regelungen entgegenstehen. Dass Amazon nicht nur als weltweit größter Online-Händler, sondern auch im sich gerade wandelnden Medienmarkt seinen Platz beansprucht, scheint dagegen sicher und lehrt die Medien das Fürchten: So wird in sehr absehbarer Zeit ein Videostreaming-Gerät erscheinen, zudem kommt angeblich ein Gratis-Dienst, der eng mit dem übrigen Amazon-Universum verzahnt ist und sich außerdem über Werbung finanzieren soll – Einnahmen, die perspektivisch anderen Medien fehlen.
Zalando – ‚Cash Cow‘ im Samwer-Imperium?
Die Brüder Alexander, Marc und Oliver Samwer sind die erfolgreichsten Unternehmer im deutschen E-Commerce. Als ‚Cash Cow‘ in ihrem Online-Universum gilt das virtuelle Modekaufhaus Zalando, das seine Kunden durch exklusive Marken und eigene Designerkollektionen überzeugen soll. Zalando soll möglichst noch im laufenden Jahr an die Börse und – nach dem Vorbild von Amazon & Co. – den kommerziellen Erfolg der Samwer-Brüder krönen. Fatal ist nur: Der Onlineshop hat in mehr als einem Land mit Umsatzeinbußen zu kämpfen und war bisher niemals profitabel. Möglicherweise wollen die Samwers ihre Firma an der New Yorker Börse platzieren – durchaus mit Pros und Contras: US-amerikanische Investoren akzeptieren Start-ups auch vor dem Erreichen der Gewinnzone, jedoch ist Zalando in den USA völlig unbekannt. In jedem Fall sind der Shop und seine Kunden aus ihrer Perspektive nichts weiter als ein wirtschaftlicher Faktor. Die Börsengänge weiterer Samwer-Unternehmen sind bereits heute angedacht.
Qualität und Individualität statt Masse
Gerrit Weber, Chef des eWeb-Research-Centers an der Hochschule Niederrhein, prognostiziert, dass die Online-Händler dem stationären Einzelhandel die Umsätze immer deutlicher und schneller entziehen werden. Darunter leiden werden weniger die Metropolen, sondern vor allem Mittelstädte. Eine aktuelle Umfrage des Kölner Instituts für Handelsforschung (IFH) hat ergeben, dass bereits jeder dritte Verbraucher die Anzahl seiner Fahrten in die Innenstädte einschränkt und stattdessen öfter online einkauft. Das Fazit der Researcher: Viele schwache Händler werden schließen müssen. Deutsche Stadtzentren laufen Gefahr, mangels einer attraktiven Handelslandschaft zu veröden.
An dieser Stelle findet sich ein wesentliches Stichwort: Schwache (!) Händler müssen schließen – hätten dies aber auch ohne die Konkurrenz aus dem Internet vermutlich irgendwann gemusst. Die Frage ist vielmehr, ob und wie der stationäre Einzelhandel in der Lage ist, eine neue Identität auf hohem qualitativem Niveau zu finden. Wachstum wird bisher fast ausschließlich über quantitative Mechanismen definiert: Höher, schneller, weiter – immer mehr Expansion und ‚Effizienz‘. Diese Mechanismen erschöpfen sich jedoch allmählich. Viele Kunden wünschen sich inzwischen individuelle Qualität – von einem Produkt, in der Kommunikation rund um den Kauf und auch von Medien-Angeboten.
Fazit:
- Künftig werden – in der Wirtschaft, im Einzelhandel und in den Medien – qualitative Faktoren wieder in den Fokus rücken. Die Grenzen des quantitativen Wachstums sind fast schon erreicht, rein quantitatives Management präsentiert sich immer mehr als asozialer Beutezug.
- Qualität kann nur in Systemen erreicht werden, denen sich Menschen loyal verbunden fühlen und in denen sie aus innerer Überzeugung exzellente Leistung bringen wollen.
- Progressive Führungskräfte greifen diese Thematik bereits heute auf – mit dem Blick auf ihre Mitarbeiter ebenso wie auf ihre Kunden.
Quellen:
http://www.welt.de/wirtschaft/article124921314/Innenstaedte-veroeden-wegen-Online-Handels.html
http://www.spiegel.de/wirtschaft/unternehmen/amazon-jeff-bezos-will-mini-drohnen-einsetzen-a-936678.html
http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/einstieg-ins-fernsehgeschaeft-amazon-geht-auf-sendung-1.1788432
http://www.welt.de/wall-street-journal/article126312373/Kommt-Amazon-mit-einem-Gratis-Streaming-Dienst.html
http://www.manager-magazin.de/unternehmen/it/zalando-bereitet-boersengang-vor-a-953324.html