eCommerce versus stationärer Handel: Der Mythos vom Beratungsklau

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Die US-amerikanische Handelskette Best Buy ist einer der wichtigsten Anbieter von Elektronik-Artikeln in Nordamerika und inzwischen auch in Großbritannien sowie der Türkei aktiv. Angesichts des Runs auf Computer, Smartphones und Tablets müssten die Geschäfte des Einzelhändlers eigentlich boomen. Offenbar ist jedoch das Gegenteil der Fall. 2012 war für Best Buy ein besonders schweres Jahr – das Unternehmen musste insgesamt 50 Filialen schließen. Die Gründe dafür sah das Management in einem Phänomen, das auch den deutschen Handel schreckt: Kunden lassen sich im stationären Handel zwar beraten, kaufen das Produkt am Ende doch im Internet. Ein Spitzenmanager von Amazon schob die Verantwortung dafür – nicht ohne Häme – den Verkäufern zu. Diese seien aufgrund mangelnder Kundenorientierung und fehlender Überzeugungskraft „das Schlimmste“ am stationären Handel. Nun gut – zumindest vordergründig profitiert also Amazon davon.

Von „Geiz ist geil“ zum Beratungsklau?

Die Amerikaner haben für das vom Handel vermutete Verhalten vieler Kunden einen eigenen Begriff geprägt. Ihr „Showrooming“ ist mit unserem Beratungsklau identisch. Die landläufige Meinung des Einzelhandles dort- und hierzulande ist, dass wachsender Preisdruck immer mehr Kunden dazu bringt, hochwertige Konsumgüter im Internet zu kaufen. Aus Händler- wie aus Kundensicht fiel der Startschuss hierfür in Deutschland mit dem Slogan „Geiz ist geil“, mit dem der Elektronik-Händler Saturn seinerzeit um die Gunst der Kunden buhlte. In den Köpfen hat sich seitdem festgesetzt, dass ein guter Kauf idealerweise auch ein – mindestens gefühltes – Schnäppchen ist und das Internet diesen Wunsch deutlich besser befriedigen kann als der stationäre Handel. Für den leichten Zugang zu den Online-Angeboten sorgt die Omnipräsenz von Smartphones und anderen internetfähigen Mobilgeräten.

Aktuelle Marktforschungsstudien zeichnen allerdings ein anderes Bild. Zwar hat eine Umfrage von Infratest ergeben, dass sich vier von fünf Smartphone-Usern nach einer Beratung im stationären Handel und einem Online-Preisvergleich schon mindestens einmal für ein preislich günstigeres Online-Angebot entschieden haben – ins Detail geht jedoch eine Untersuchung der Unternehmensberatung Roland Berger mit 42.000 Kunden. Demnach sorgten diejenigen, die sich im Laden nur beraten lassen, danach aber online kaufen, bei den Online-Shops für rund sechs Milliarden Euro Umsatz. Diejenigen, die nach einem Produkt- und Preisvergleich im Internet dann doch im Laden kauften, brachten dem Einzelhandel dagegen 68 Milliarden Euro Umsatz. Diese Relation sollte den Einzelhändlern stark zu denken geben – den Mythos vom Beratungsklau setzt sie auf alle Fälle außer Kraft. Die Roland-Berger-Studie hat stattdessen sehr eindeutig nachgewiesen, dass sich Kunden vom stationären Handel sowohl den physischen Kontakt zum Produkt als auch Serviceleistungen und Beratung wünschen.

Stationärer Handel als Basis für das Internet-Geschäft

Ein deutscher Einzelhändler, der den aktuellen Trend in seiner Ambivalenz zwischen stationärem Handel und Internet begriffen hat, ist der deutsche Unternehmer Hans Thomann, der für seine Business-Strategie sowohl den deutschen Handelspreis als auch den Global eCommerce Award in Gold erhalten hat. Das inhabergeführte Familienunternehmen hat seinen Hauptsitz im Dörfchen Treppendorf bei Bamberg – auf dem Markt ist es als das größte europäische Musikalien-Handelshaus aktiv. Zu seinem Erfolg tragen über 1.000 Mitarbeiter sowie ein Callcenter, dessen Agenten 17 Sprachen sprechen, bei. Zwar kommt der größte Teil des kontinuierlich wachsenden Umsatzes heute aus dem Internet, der stationäre Handel ist für das Konzept der Firma jedoch ebenso unverzichtbar.

In seinen Werkstätten und Geschäften beschäftigt Hans Thomann hochqualifizierte Meister und Instrumentenbauer – bei einigen von ihnen hat es zehn Jahre gedauert, bis er sie gefunden hatte. Den Service, den Thomann seinen Kunden bietet, wird aus dem stationären Geschäft auch auf sein eCommerce übertragen. Die firmeneigenen Läden bilden jedoch bis heute die Basis des Modells. Außerdem bietet Hans Thomann seinen Kunden sehr attraktive Konditionen sowie hochwertige, jedoch vergleichsweise günstige Eigenmarken an. Er meint, dass es in Zukunft völlig verschiedene Kundentypen geben wird und folglich auch der Einzelhandel eine Zukunft hat.

Gute Verkäufer: Berater, Kommunikatoren, Service-Experten

In unserer Research-Arbeit ebenso wie in unseren Coachings nehmen die Zukunft des stationären Handels sowie Ansätze zur aktiven Kundenbindung in den Läden eine zentrale Stellung ein. Aus unserer im November 2013 publizierten Kundenstudie im Einzelhandel wissen wir, dass sich Kunden von Verkäufern individuelle Kommunikation, Beratung und nicht zuletzt umfassende Informationen über zusätzliche Leistungen und Angebote wünschen. In der Praxis wird dieser Wunsch jedoch oft nicht oder nicht optimal erfüllt: Die Verkäufer vor Ort ebenso wie die Kunden haben unter einer fatalen Doppelpriorität zu leiden. Das Verkaufspersonal ist durch zentral vorgegebene Prozesse oft vor allem mit der Ware und erst zu allerletzt mit dem Kunden beschäftigt. Seine Bewertung erfolgt ausschließlich anhand von Umsatzzielen, nicht jedoch anhand von Kriterien wie Beratungsqualität und Kundenfreundlichkeit. Wenn sich dieser Ansatz ändert, haben Verkäufer hervorragende Chancen, den informierten Kunden an ihr Geschäft zu binden.

Praxistipps:

  • Alleinstellungsmerkmale des stationären Handels gegenüber dem Internet sind individuelle Kundenkommunikation, Service und Beratung.
  • Wenn Sie und Ihre Verkäufer in diesen Bereichen exzellent sind, brauchen Sie keinen Beratungsklau aus dem Internet zu fürchten.

Quellen:
https://bosch-ag.com/das-problem-von-der-doppelprioriaet-im-stationaeren-handel/
http://money.cnn.com/2012/11/20/news/companies/best-buy-earnings/
http://www.zeit.de/2011/49/Portraet-Thomann

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