Jeff Bezos und Amazon: Vernichtungsfeldzug gegen den klassischen Einzelhandel?

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Der Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD widmet sich mit insgesamt fünf Zeilen auch der Zukunft des klassischen Einzelhandels. Auf Seite 22 des Papiers heißt es lapidar, dass sich der stationäre Handel derzeit in einem Strukturwandel befindet.
Die Regierungsparteien planen, zusammen mit den Unternehmen, Verbänden, Gewerkschaften und Kommunen eine „Plattform“ ins Leben zu rufen, die neue Perspektiven für den Einzelhandel aufzeigt, die Versorgung in ländlichen Gemeinden sicherstellt und die weitere Verödung unserer Innenstädte verhindern soll.

Besonders inhaltsreich klingt dieser Passus nicht. Vielmehr klingt darin an, dass die Politiker von den realen Veränderungen im Einzelhandel nur wenig Ahnung haben – und vermutlich auch nur wenig Ahnung haben wollen. Zu erwarten sind vor diesem Hintergrund Gespräche mit hohem Allgemeinheitsgrad – womöglich auch noch mit den falschen Leuten – und Verlautbarungen, welche auf der Phrasen-Ebene verbleiben. Die reale Bedrohung für den Einzelhandel kommt aus dem Internet und zwar in globalem Maßstab. Die Maßstäbe dafür haben seit langem Jeff Bezos und Amazon gesetzt, was sich auch in der ‚Führungskultur‘ des weltweit größten Online-Händlers niederschlägt.

Jeff Bezos´ Amazon – Gnadenlosigkeit als Programm

Amazon-Gründer Jeff Bezos gilt als eine der spannendsten Figuren der globalen Wirtschaftswelt. Ursprünglich aus kleinen Verhältnissen stammend, hat er sein Unternehmen vom Garagen-Shop zu einem der mächtigsten Konzerne der Welt entwickelt und rund um Amazon ein Imperium weiterer Firmen aufgebaut. Star-Investor Warren Buffet betrachtet Bezos als den besten Firmenlenker in den USA, andere Beobachter meinen, dass sein Genie nur mit dem verstorbenen Apple-CEO Steve Jobs vergleichbar sei. Unter dem Titel „Der Allesverkäufer“ widmet sich der US-amerikanische Journalist Brad Stone nun der komplexen Persönlichkeit von Bezos ebenso wie deren Folgen für seinen Führungsstil bei Amazon.

Stone bescheinigt Bezos ein „Arbeit-über-Alles-Ethos“. Der Amazon-Chef sei geradezu besessen von seiner Arbeit und erwartet von seinen Mitarbeitern die gleiche Haltung. Der Kern seines unternehmerischen Konzeptes heißt Gnadenlosigkeit. Sein Unternehmen Amazon wollte er ursprünglich „Relentless“ nennen, das Wort bedeutet im Englischen „gnadenlos“. Unter der URL „relentless.com“ werden Besucher auch heute noch zu Amazon geleitet. Diese Gnadenlosigkeit entfaltet sich sowohl nach außen als auch nach innen. Wettbewerber sind für Bezos vor allem zerstörenswert, Geschäftspartnern bietet er Konditionen, die oft die Schmerzgrenze bei weitem überschreiten. Seine Mitarbeiter führt Bezos ebenfalls mit harter Hand. Die Arbeiter in den Versandzentren werden – bei niedrigsten Löhnen – nach einem Punktesystem bewertet. Bei sechs Punkten wird der Mitarbeiter entlassen, schon für eine Krankmeldung wird ein Punkt vergeben. Ein Amazon-Manager fasst in Stones Buch den Führungsstil von Bezos so zusammen: Wenn jemand nicht gut ist, „frisst“ Bezos ihn und „spuckt ihn aus“. Wenn jemand gut ist, springt er ihm auf den Rücken und reitet ihn zuschanden.

„Stay hungry“ als unternehmerischer Mythos?

In einem Interview mit dem „Harvard Business Manager“ spricht Brad Stone über eine andere Seite der Persönlichkeit und des unternehmerischen Credos des „Bulldozers“ aus Seattle, die ihm Rick Dalzell – die rechte Hand von Bezos – im Rahmen seiner Buchrecherchen beschrieben habe. Jeff Bezos sei aus exakt zwei Gründen besser als andere:

  • Er versuche zu einer bestimmten Zeit die „beste Wahrheit“ darin zu finden, was nicht selbstverständlich sei, da viele andere Leute bereits vorab zu wissen meinen, was diese Wahrheit sei und sich demzufolge mit der Wahrnehmung von notwendigen Veränderungen schwer tun.
  • Er verweigere sich der „konventionellen Weisheit“ darüber, wie etwas normalerweise zu tun ist, sondern beschäftige sich gedanklich auch mit der Neuerfindung kleiner Dinge.

Damit befindet sich Jeff Bezos ein weiteres Mal in großer Nähe zu Steve Jobs – der im Übrigen bei Apple ebenfalls nicht die Rolle eines Philanthropen spielte. Jobs´ Aufforderung an die Studenten der Stanford-Universität aus dem Jahr 2005 – „Stay hungry!“ und „Stay crazy!“ (Bleibe hungrig! Bleibe verrückt!) gilt vielen bis heute als eine ultimative Botschaft für ihr persönliches und professionelles Handeln. Jeff Bezos und Steve Jobs haben mit ihren Überzeugungen scheinbar ein allgemeingültiges Erfolgsrezept gefunden, dass sich auf beliebige Situationen übertragen lässt.

Jobs versus Bezos – und was ist mit dem Einzelhandel?

Nach dieser Definition wäre allerdings der klassische Einzelhandel perspektivisch „tot“. „Hunger“, „Verrücktheit“ – sowie egozentrische Persönlichkeiten – haben das Internet und die IT-Branchen in ihren verschiedenen Facetten groß gemacht. Was sich davon auf „konventionelle“ Branchen und eben auch den Einzelhandel übertragen lässt, bleibt dagegen weitgehend außerhalb der Debatte.

Hunger im Sinn von Steve Jobs kann natürlich heißen, den eigenen Erfolg ausschließlich durch aggressiven Wettbewerb zu sichern, der keine Grenzen – und auch wenig bis keine Skrupel – kennt. Wenn wir Brad Stone und den Erfahrungen der Amazon-Mitarbeiter folgen, ist dies die Grundlage, von der Jeff Bezos ausgeht. Natürlich gilt in der Wirtschaft zumindest kurzfristig das Recht des Stärkeren und schafft kurzfristig Vorteile für denjenigen, der sich als der Stärkere durchsetzt. Erfolg ist damit zwar auf der Profit-Ebene, nicht jedoch mit dem Blick auf Nachhaltigkeit verbunden. Langfristig erfolgreicher und damit zukunftsfähiger sind Unternehmen, die in der Lage sind, ihren Produkten und Dienstleistungen Relevanz und damit Sinn für Individuen zu geben. An dieser Stelle scheiden sich auch die Wege von Jobs und Bezos: Der Erfinder Steve Jobs hat bei und mit Apple genau das geschafft – innovative, relevante Produkte für reale Menschen. Die Apple-Story zeigt, dass dies einem höchst profitablen Geschäft nicht entgegensteht und dass ein Unternehmen in der Lage ist, eine produktive Balance zwischen Effektivität (im Sinn von Innovationskraft und/oder Kreativität) und monetärer Effizienz zu finden. Bezos setzt dagegen ausschließlich auf letztere: Ein Online-Kauf bei Amazon ist für Kunden sicher praktisch, Begeisterung für die Marke „Amazon“ ist damit aber nicht verbunden.

Genau hier liegt die Chance für den klassischen Einzelhandel: Wettbewerb inklusive der harten Konkurrenz von Amazon & Co. – ja, sicher. Aber der stationäre Handel hat ein großes Potential, diesen erfolgreich zu bestehen – wenn er seine eigenen Stärken definiert und pflegt. Die Brücke dorthin ist die Beziehung zu (und persönliche Sinnstiftung für) jeweils individuelle Kunden.

Praxistipps:

  • Finden Sie gegenüber den Wettbewerbern aus dem Internet Ihre Identität als Einzelhändler.
  • Machen Sie diese gegenüber Ihren Kunden durch Ihre Service-Struktur und Ihr kommunikatives Profil deutlich.
  • Ändern Sie Ihre Perspektive – und die Perspektive Ihrer Mitarbeiter: Stellen Sie nicht nur Umsatzzahlen, sondern individualisierte Dienstleistungen sowie die persönliche Kundenbeziehung in den Fokus.
  • Schaffen Sie in Ihrem Unternehmen individuelle Kommunikations-, Einkaufs- und Erlebniswelten, die das Internet Ihren Kunden nicht bieten kann.

Quellen:

http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/amazon-gruender-jeff-bezos-der-besessene-1.1804565
http://www.harvardbusinessmanager.de/meinungen/artikel/jeff-bezos-der-macher-hinter-dem-erfolg-von-amazon-a-929007.html
http://www.wiwo.de/erfolg/management/beruehmte-letzte-worte-stay-hungry-alles-bloedsinn/8901912.html
http://www.tagesschau.de/inland/koalitionsvertrag136.pdf

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