Das Problem der Doppelpriorität im stationären Handel …
… und welche Rolle dabei die Psychologie spielt!
Wer kennt das nicht: nach Feierabend will man noch schnell in ein Handelsgeschäft gehen, um endlich eine neue Hose, eine DVD oder die Weihnachtsgeschenke für die Kinder zu kaufen. Die Hoffnung: schnell rein und wieder raus! Die Realität: Zeitdruck wegen der Ladenöffnungsszeiten und unzureichende Informationen über die Produkte. Und da stellt sich schnell die Frage: „Wo ist dein Verkäufer und Helfer, wenn du ihn mal brauchst?“
Hinter den sieben Regalen bei den sieben Kollegen
Die Frage nach den Verkäufern ist meistens schnell beantwortet. Wenn man sich selbst auf die Suche nach ihnen macht, dann findet man sie meistens am PC-Terminal, beim Ware einräumen, mit einem Telefon in der Hand oder beim Tratsch mit Kollegen. Eine von der Dr. Thorsten Bosch AG bundesweit durchgeführte Meta-Untersuchung bei großflächigen stationären Fachhändlern zeigt, dass der Verkäufer in 64% der Fälle (s. Grafik) anderweitig beschäftigt ist, als sich um die wartenden Kunden zu kümmern.
Aus der gleichen Untersuchung geht auch hervor, dass mehr als 50% der Kunden tatsächlich angesprochen werden möchten (Angaben 6 bis 8; Frage: Wie wichtig ist es Ihnen, von einem Verkäufer angesprochen zu werden? Skala 1 bis 8; 1 = sehr unwichtig; 8 = sehr wichtig) (s. Grafik).
Das Dilemma mit der Doppelpriorität
Jetzt werden sich viele fragen: wieso sprechen Verkäufer die Kunden nicht einfach an, wenn es denn so sehr gewünscht ist? Es sollte ja nichts Leichteres geben, als einem bereits kaufwilligen Kunden etwas zu verkaufen? Zumal die Studie der Dr. Thorsten Bosch AG ohnehin zeigt, dass durchschnittlich 62% der Kunden mit einer konkreten Kaufabsicht das Handelsgeschäft betreten (s. Grafik).
Erfahrungsgemäß liegt die tatsächliche Abschlussquote weit unter diesem Wert. Wie wir weiter gesehen haben, sind die Verkäufer mehr mit der Ware beschäftigt und die Zeit, sich um einen Kunden zu kümmern wird immer kürzer. Keine Frage, Verkäufer haben sich um vieles zu kümmern und eben auch um die Ware. Ohne Ware, kein Verkauf – ohne Verkauf kein Gehalt!
Das hat auch sicherlich damit zu tun, dass viele Prozesse in einem Unternehmen mittlerweile standardisiert und kontrolliert werden sollen. Was früher ein Handgriff war, bedarf heute mehrerer Arbeitsschritte, weil alles dokumentiert und festgehalten werden muss. So vereint ein Einzelhandelsmitarbeiter also zwei Seelen in sich: einerseits den des Verkäufers und andererseits den des Warenverräumers. Es wäre fahrlässig anzunehmen, er könne sich um beides gleich stark und in gleicher Qualität kümmern. Daher sollte man sich Gedanken darüber machen, welche Anforderungen und welche Verantwortung man welchen Mitarbeitern gibt und ob ein Aufgabensplitting nicht womöglich mehr Sinn macht.
Was hat jetzt aber die Psychologie damit zu tun?
Nicht wenige werden den Psychologen Burrhus Frederic Skinner kennen, der die Forschung zur instrumentellen und operanten Konditionierung prägte wie kein Anderer. Vereinfacht gesagt, verstärkt ein Mensch sein Verhalten in Abhängigkeit davon, wie die Reaktion auf sein Verhalten ist. Wenn die Reaktion auf sein Verhalten positiv ist, z.B. durch eine Belohnung in Form eines Lobes, dann steigt die Wahrscheinlichkeit, dass dieses Verhalten auch in Zukunft angewandt wird. Übertragen auf unseren Verkäufer heißt das, wenn sein kundenorientiertes Verhalten verstärkt würde, dann zeigte er dieses Verhalten auch häufiger.
Die Realität ist jedoch eine andere. Verkäufer werden dann gelobt und belohnt – bzw. nicht gerügt, wenn Loben und Belohnen keine gängige Praxis darstellen –, wenn der POS gut aussieht, wenn die Ware schön verräumt ist oder keine Lücken in der Warenpräsentation bestehen. Das bedeutet also, dass seine Warenorientierung verstärkt wird und er sich daher eher um die Ware und den POS kümmert. Wieso das so ist, leuchtet schnell ein: Eine Warenorientierung ist ständig sichtbar, man kann sie direkt messen und leichter kontrollieren. Die Kundenorientierung hingegen kann nur beobachtet werden. Dazu bedarf es allerdings aufmerksamer und ebenso kunden- und vertriebsorientierter Führungskräfte. Weil das eher selten der Fall ist, wird der Fokus im stationären Handel völlig unbewusst auf die Ware gelegt und dadurch die Mitarbeiter von den Kunden weg-verstärkt. Und am Ende siegt die Psychologie!
Wie kann das Dilemma gelöst werden?
Meiner Meinung nach ist es unbedingt notwendig, dass klare Anforderungen an Verkäufer und ganz allgemein an alle Mitarbeiter gestellt werden. Jeder muss ein ganz klares Aufgabenprofil haben. Das gleiche gilt auch für die direkten Führungskräfte, die eine kundenorientierte Arbeitsphilosophie vorleben müssen. Die Führungskräfte müssen im Sinne eines Coaches sprichwörtlich hinter den Verkäufern stehen und die direkte Vertriebsarbeit fördern und vor allem fordern. Hierbei sei auf den Leitartikel Management by Objectives (MbO) – Die große Führungslüge von Herrn Dr. Thorsten Bosch vom 24. Oktober 2013 hingewiesen. Übertragen auf unsere Verkäufer bedeutet das, dass die Führungskräfte aufhören müssen, einerseits von Kundenorientierung zu sprechen und andererseits Warenorientierung zu leben. Sie müssen aufhören, das WAS zu fordern und beginnen, das WIE zu kommunizieren.
Service-Box: Die Lösung
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- Klare Rollendefinitionen
- Klare Aufgabenverteilungen
- Fokus auf die Kundenorientierung – der Kunde hat Priorität
- Anspornen der Mitarbeiter, sich dem Kunden zu widmen
- Bekräftigen der Mitarbeiter in der Kundenansprache
- Implementierung einer kunden- und vertriebsorientierte Führungsebene
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