Lethargie versus Innovation

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Wissensvermittlung und Kundenorientierung als USP des Einzelhandels

Was halten Sie eigentlich von einem Karstadt-Einkauf? Wie fühlen Sie sich dabei als Kunde? Vielleicht kommt Ihnen ja das folgende Szenario bekannt vor: Sie stehen mit Ihrem Einkauf an der einzigen offenen Kasse. Bei einem Kunden funktioniert etwas mit der Kartenzahlung nicht. Eine zweite Kasse öffnen? Nein, das geht auf keinen Fall, auch die völlig unbeschäftigte Verkäuferin aus der Nachbarabteilung kann nicht übernehmen. Kundenfreundlichkeit, effektives Kundenmanagement oder gar Innovation – bei Karstadt leider Fehlanzeige.

Karstadt: Lethargie und Tod auf Raten

Die Folge: Viele Kunden kaufen nur noch bei Karstadt ein, wenn es gar nicht anders geht. Die Kaufhauskette stirbt einen Tod auf Raten und ist nicht zuletzt an ihrer Lethargie gescheitert. Im Geschäftsjahr 2013 addierte das Traditionshaus weitere 127 Millionen Euro zu seinen roten Zahlen, im Jahr zuvor hatte es Verluste in Höhe von 158 Millionen Euro eingefahren. Das Geschäftsvolumen von Karstadt zeigt einen steten Abwärtstrend, Filetstücke wie das Berliner KaDeWe oder das Alsterhaus in Hamburg sind längst verkauft und nur noch pro forma Teil von Karstadt. Die neue Chefin Eva-Lotta Sjöstedt hat dem schwer angeschlagenen Konzern ein striktes Sparprogramm verordnet – ob dieses greift, bleibt abzuwarten. Als Hauptgrund für den Niedergang gilt die verfehlte Sortimentspolitik ihres Vorgängers Andrew Jennings, zu der auch ein Team von jetzt entlassenen Beratern beigetragen hat: Zentral gesteuert, auf Mode fokussiert und zum Teil mit völlig unbekannten Marken.

Sjöstedt enthält sich zwar bislang jeder Fundamentalkritik, denkt jedoch offenbar in eine andere Richtung: Karstadt habe sich zu einer gigantischen Warenausstellung entwickelt, das Sortiment sei jedoch auch in anderen Geschäften oder im Internet zu haben. Seine Relevanz für die Kunden werde diese Art von Geschäft jedoch sehr schnell verlieren. Der früheren Ikea-Managerin ist zu wünschen, dass sie das Blatt für Karstadt durch neue Konzepte, Dezentralisierung und echte Kundenorientierung nochmals wenden kann. Beispiele für erfolgreiche Innovation im Einzelhandel gibt es durchaus. Karstadt hat diesen Trend von Anfang an verschlafen.

Swisscom: Mut zu Innovation und geschäftlicher Erfolg

Kunden, die in eine Filiale des Schweizer Telekom-Anbieters Swisscom kommen, dürfen dagegen mehrheitlich eine sehr positive Erfahrung machen. In der Mehrzahl der 131 Swisscom-Shops gibt es das zwar effiziente, aber bei den Kunden recht unbeliebte Ticket-System nicht mehr, bis zum Jahresende sollen alle anderen Swisscom-Läden folgen. Kunden müssen bei der Swisscom nicht mehr untätig darauf warten, bis sie an die Reihe kommen und am Schalter zu ihrem aktuellen Problem beraten werden. Stattdessen werden sie beim Betreten des Geschäfts durch einen „Floor Manager“ begrüßt, der auf seinem Tablet für die Warteliste zunächst ihre Wünsche und ein kurzes Kundenprofil erfasst. Danach bietet er ihnen bis zum Aufruf einen Rundgang durch den Laden an und berät sie zu den aktuellen Produkten und Leistungen der Swisscom. Auch die Inszenierung der Geräte soll zu größerer Kauflust führen. Die Swisscom stellt dafür Lebenssituationen dar, welche die digitalen Medien für ihre Kunden erfahrbar machen sollen – die Möglichkeit zum Ausprobieren ist selbstverständlich inklusive.

Die Swisscom reagiert mit ihrem neuen Store-Konzept auf die Bedürfnisse der „Digital Citizens“. Ein Umsatzwachstum erwartet sie sich davon nicht, zumal der Großteil ihrer Umsätze nicht aus den Läden, sondern aus dem Geschäft mit langfristigen Telefon- und Internetverträgen stammt. Die Neugestaltung der Filialen und des Live-Kontakts mit ihren Kunden betrachtet das Unternehmen dagegen als ein strategisches Instrument zur Positionierung als zeitgemäße Marke. Im Vorfeld wurden Schlüsselstellen in der Kundenbeziehung definiert und jede in diesem Kontext relevante Kundenerfahrung im Hinblick auf Kundenzufriedenheit sowie Markenerfahrung analysiert. Das Resultat: Mehr als die Hälfte der Kunden in den Shops nutzt das neue Angebot. Parallel zur Implementierung des Systems legt die Swisscom größeren Wert auf die Schulung ihrer Mitarbeiter. Eine Rolle spielt hier auch, dass die Verkäufer in den Läden immer häufiger auf ausgezeichnet informierte Kunden treffen – wenn diese in den Laden kommen, wissen sie durch ihre Online-Recherchen oft schon sehr präzise, was sie wollen. Zudem haben elektronische Geräte heute einen deutlich größeren Erklärungsbedarf als früher. Derzeit arbeitet die Swisscom an der Perfektionierung des Konzepts, um ihren Kunden auch zu Stoßzeiten oder in großen, stark frequentierten Filialen eine optimale Kauferfahrung zu vermitteln.

Innovation durch persönliche Beziehung und Zusatznutzen

Die Swisscom beweist damit, dass ihr Management verstanden hat, was Innovation im Einzelhandel heute heißt: Der Ansatzpunkt dafür ist eine Kommunikation mit jedem individuellen Kunden, die dessen Bedürfnisse bedient und nicht nur auf den konkreten Kauf gerichtet ist, sondern durch den Aufbau einer persönlichen Beziehung und komplexe Beratung einen Zusatznutzen bietet. Das Modell des klassischen Verkäufers hat damit zwar nicht ausgedient, sich jedoch in den Zeiten der digitalen Konkurrenz nachhaltig gewandelt: Verkäufer agieren heute als Berater und de facto als „Projektmanager Kunde“. Dieses Konzept gilt übrigens nicht nur für den Einzelhandel, sondern auch für das B2B-Geschäft. Der Vertriebschef eines deutschen Mittelständlers formuliert die neuen Anforderungen und damit den Trend für Innovation im Handel so: Der Verkauf von Waren ist ganz alte Schule, auch der Verkauf von Lösungen ist nicht mehr up to date. Von einem guten Verkäufer erwarten Kunden heute, dass er ihnen Erkenntnisse – also Wissen – präsentiert, was dann „zufällig den Kauf von Dingen“ nach sich zieht.

Fazit:

  • Innovation im Handel muss sich heute auf den Kunden fokussieren.
  • Der „mündige Kunde“ informiert sich heute in der digitalen Welt – im Einzelhandel kauft er dann, wenn dieser ihm Qualität und individuelle Beratung bietet.
  • Der Verkäufer von heute agiert als „Projektmanager Kunde“. Als solcher bietet er seinen Kunden als Kaufanreiz nicht vordergründig Waren oder Lösungen, sondern vor allem Wissen an.

Quellen:
http://www.wiwo.de/unternehmen/handel/werner-knallhart-karstadt-ist-nicht-mehr-zu-retten/9396446.html
http://www.welt.de/wirtschaft/article126067495/So-schlimm-steht-es-wirklich-um-Karstadt.html
http://www.nzz.ch/wirtschaft/unternehmen/warten-ohne-anzustehen-1.18217322
http://www.spiegel.de/karriere/berufsleben/marketing-topseller-bei-der-arbeit-a-938380.html

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