Change Management und Motorradfahren | Ein Vergleich

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Ich fahre leidenschaftlich gerne Motorrad. Nicht nur gerne, sondern auch viel. Das höchste der Gefühle für mich ist, in den Bergen unterwegs zu sein: tolle Aussichten zu genießen, schöne Kurven- und Serpentinenstrecken zu finden, die Schräglagen und das Rausbeschleunigen aus der Kurve zu spüren… eben die pure Fahrdynamik eines Motorrads. Das übt eine ungeheure Faszination auf mich aus!

Denjenigen, die nicht selbst fahren, sei gesagt: das ist Sport! Um ein Motorrad auf der Straße zu halten und – noch viel mehr – auf der richtigen Spur reicht es nicht, ein wenig am Lenker zu drehen. Gerade bei Kurvenfahrten muss das Motorradfahren richtiggehend ‚bearbeitet’ und geführt werden: Spur wählen, anbremsen, Lenkimpuls, Gewichtsverlagerung, Abkippen, Blickführung, usw. Allesamt Faktoren, die ich als Motorradfahrer berücksichtigen muss.

Physikalisch betrachtet ist es ein hochkomplexes Zusammenspiel aus Winkeln, Geschwindigkeiten, Ent- oder Beschleunigungswerten, Schwerpunkten, Reibungs- und Haftungskoeffizienten, Verwindungssteifigkeitswerten, Zug- und Druckstufen und was weiß ich noch alles.Ich bin aber kein Physiker. Geschweige denn, dass ich all diese rationalen, physikalischen Größen während der Zufahrt auf die Kurve mit exakten Messwerten erfassen, verarbeiten und in folgerichtige Maßnahmen umsetzen könnte. Trotzdem bringe ich mein Motorrad regelmäßig um die Kurve.[1]

Warum? Weil ich ein – zwar nicht perfektes, aber doch gutes – Gefühl für das komplexe Zusammenspiel all der Einflussfaktoren habe und für deren Dynamik, gewissermaßen für die ‚Seele’ des Motorrads. Ich kann inzwischen einschätzen, was ich mir und dem Motorrad zumuten kann, wie ich somit die Kurve angehe und wie ich mich während der Kurvenfahrt verhalten sollte. Und da der Allerwerteste nun mal die größte Verbindungsfläche zur Maschine darstellt und gleichzeitig Sensor ist, haben die Motorradfahrer einen liebevollen Begriff gefunden: das ‚Popometer’ – das ist der Zugang zur bzw. das Gespür für ‚Seele’ der Maschine.

Um das zu bekommen, reicht es nicht, nur auf der Maschine zu sitzen. Ich muss sie (im wahrsten Sinne des Wortes) erfahren und ich muss mich auf – oder noch treffender – in die Maschine einlassen.
Wer (noch) kein ‚Popometer’ hat, der fährt nicht Motorrad – der wird vom Motorrad gefahren! Der reagiert nur überrascht auf seine ‚Launen’, kann sein Verhalten nicht antizipieren. Wer sich kein ‚Popometer’ zulegt, unter- oder überschätzt viele Parameter und rauscht früher oder später in irgendeiner Kurve von der Straße. Oder in den Gegenverkehr, den wir ja tunlichst auch noch beachten sollten.

 

Sie werden sich langsam fragen: wozu der lange Prolog zum Motorradfahren?

Ich behaupte, es gibt eine Menge Analogien zwischen dem missratenem Change im Unternehmen und dem Crash bei der Kurvenfahrt mit dem Motorrad.

 

  • In beiden Fällen haben wir es mit dynamischen und komplexen Systemen (Motorrad und Unternehmen) zu tun.
  • Wir haben in beiden Fällen jemanden, der das System führt (Fahrer bzw. CEO/Vorstand…), der es in der Bahn halten soll und im dabei im Idealfall noch besser/schneller ist als andere Fahrer.
  • Wir haben das Motorrad selbst, das die ganze Infrastruktur und große Teile der Belegschaft repräsentiert.
  • Wir haben oftmals noch einen schwergewichtigen Mitfahrer (Sozius). Er steht symbolisch für wichtige Interessensgruppen und Meinungsführer im Unternehmen. Das kann z.B. der Betriebsratsvorsitzende sein. Er sitzt dem Fahrer – im wahrsten Sinne des Wortes – im Nacken. Er hat aber meistens auch die schlechtere Sicht auf die Strecke. Und er ist selbst selten Motorradfahrer.
  • Und wir haben einen geänderten Straßenverlauf, also unsere Haarnadelkurve. Das sind im übertragenen Sinn die Veränderungen am Markt bzw. im Umfeld, die eine Neuausrichtung notwendig machen.

 

Und jetzt fangen die Herausforderungen an…. eine kleine Sammlung typischer Fahrfehler

 

Fehler 1: Kurve? Welche Kurve?

 

Natürlich kann es passieren, dass wir uns schlicht täuschen. Oft genug liegt die Strecke im Nebel und wir vermuten eine Straße, wo gar keine ist. Dann kann ich noch so ein guter Kurvenfahrer (Change Manager) sein, ich steuere auf ein falsches Ziel hin. Das ist dann wohl unter ‚unternehmerischem Risiko’ zu verbuchen.

 

Was uns mehr bekümmert, sind die Blindflieger. Die einen schauen naiv und gut gelaunt in die Landschaft – das geht ja auch alles gut, so lange die Strecke immer geradeaus führt und so lange man mit niemand und nichts kollidiert.

Blind in diesem Sinne ist aber auch, wer dem Tunnelblick erliegt. Wer nur den Tacho im Visier hat („wow, gleich knacke ich die 250 km/h-Grenze“), der verpasst die Kurve. Und wer wie gebannt auf den Stein starrt, der auf der Straße liegt und den er eigentlich umfahren will, der hat die größte Chance, ihn genau zu treffen. Denn auch in der Blickführung ist Dynamik und Agilität gefragt. Es gilt die Faustregel: ‚Du fährst dorthin, wohin Du Deinen Blick richtest. Er muss daher ständig der Straße folgen.’

Der fundamentale Fehler in beiden Beispielen ist, dass man komplexe Systeme nicht bewältigt, indem man sich nur auf EIN Parameter, EINE Messgröße oder EINEN Fixpunkt konzentriert.

[Eine Buchempfehlung in dem Zusammenhang: Diedrich Dörner; Die Logik des Misslingens]

Das gilt genauso für jene Sorte CEO’s, deren Blick nur auf Börsencharts und Quartalsberichte fixiert ist („3,7% Umsatzwachstum im letzten Quartal. Wenn ich vor der Aktionärsversammlung noch die 5% schaffe, dann…“). Aber: diese Kennzahlen bilden nur einen winzigen, meist statischen und in die Vergangenheit gerichteten Moment der Realität ab. Leider nimmt dieser Kennzahlen-Fetischismus in Zeiten des ‚höher, schneller, weiter’ und des Shareholder-Value eher zu.

Um es in den Worten des Motorradfahrers zu sagen: Wie schnell ich auf den letzten hundert Metern war, gibt mir aber keine Auskunft über den kommenden Streckenverlauf!

Et voilà, plötzlich rumpelt es und kracht’s, weil wir unversehens quer über den Acker pflügen, den Gasgriff noch in der Anschlagsstellung. Denn auch auf den letzten Metern vor der Kurve wurde noch mal Vollgas gegeben, schließlich sollte das andere Motorrad (der Konkurrent) unbedingt noch überholt werden – (Markt-) Führerschaft um jeden Preis.

 

Fehler 2: Keine Lust auf Kurve…

 

Um einen früheren Leitartikel zu zitieren:

„Wir schätzen Beständigkeit und Sicherheit und tun sehr viel dafür, um diesen Zustand zu erhalten. Dafür verdrängen wir […] so gut es geht – manchmal so lange, bis das Leben selbst uns die notwendige Veränderung quasi mit Gewalt aufdrängt.“ Kurzum: ‚Es ist nicht, was nicht sein darf!“

Unser nächster Kandidat nimmt die Kurve also ‚irgendwie’ schon wahr. Er bildet sich aber bis zum letzten Moment ein, dass hier eine Kreuzung kommen muss und es auch geradeaus weitergeht. Wenn es hart auf hart kommt, muss er dann drastisch Maßnahmen ergreifen, um noch um die Kurve zu kommen. Oder er fährt stur weiter gerade aus und damit querfeldein durch die Botanik, hoffend, dass Motorrad und Sozius die Ochsentour mitmachen und er irgendwann wieder einen befestigten Weg trifft.

Analog scheuen viele Unternehmenslenker die Anstrengung des Moments, den Change einzuleiten. Change bedeutet Unbequemlichkeiten, Widerstände, Ängste bzw. Zweifel bei Mitarbeitern, Stake- und Shareholdern und bei sich selbst. Doch zu hoffen, dass der Kelch am Unternehmen oder eigenen Person vorbeigeht ist ‚Unterlassung’ – und das produziert dann erst recht Unbequemlichkeiten und Angstmomente.

 

Fehler 3a: Zu schnell vor der Kurve…

 

Der dritte Fehler ist häufig Resultat von Fehler 1 oder 2. Wir haben zu spät bemerkt oder wahr haben wollen, das eine Kurve kommt / der Change unumgänglich ist. Den eigentlichen Bremspunkt haben wir verpasst, aber wir gehen noch mal richtig in die Eisen, bevor wir vollends in die Leitplanke knallen. Der Sozius knallt auch, nämlich uns ins Genick und verflucht uns anschließend. Von den Bremsen steigt Qualm auf. Wenn wir solche Manöver ein paar Mal machen, versagen sie. Was bei solch ‚Notankerungen’ auch gern passiert, ist, dass das Heck ausbricht oder sogar den Bodenkontakt verliert: wir überschlagen uns (und den Sozius).

Das ist im Unternehmen nicht anders: Bremsmanöver dieser Art verschleißen die Mitarbeiter gewaltig. Wenn sie nicht schon vorher schlotternd und fluchend den Dienst quittieren oder eine Revolution anzetteln, so nährt es zumindest berechtigte Zweifel an der vorausschauenden Fahrweise und untergräbt damit das Vertrauensverhältnis – zu den Folgen eines gestörten Vertrauensverhältnisses siehe auch Fehler 5.


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Fehler 3b: Zu schnell in der Kurve…

 

Gehen wir davon aus, wir haben die Maschine noch irgendwie eingefangen. Mit reichlich Restgeschwindigkeit geht es weiter. Die Geschwindigkeit als solche ist ja nichts anderes als jene (Beharrungs-)Kraft, die uns in eine stabile, aufrechte Lage bringen will. Sie lässt uns gerade aus fahren.

Auch im Unternehmen ist begehren die Mitarbeiter in der Regel nach stabilen, vorhersehbaren, kontinuierlichen, geradlinigen Routinen. Und wo eine gewisse Routine ist, dort kann auch Fahrt aufgenommen werden.

Um den Change (die Kurve) zu schaffen, brauche ich eine zusätzliche Kraft, die die vorwärts drängende Trägheitskraft in die neue Bahn zwingt. Diese zusätzliche Kraft bringe ich in der Kurvenfahrt durch meine Schräglage auf. Je schneller ich bin, desto mehr Kraft, also Schräglage, brauche ich, um den gleichen Kurvenradius zu schaffen.

Echte Profi-Motorradfahrer können so schräg fahren, dass sie so genannte Knieschleifer brauchen, um nicht mit der eigenen Kniescheibe über den Asphalt zu wetzen. Dadurch können sie extreme Kurvengeschwindigkeiten fahren. Indes sind die wenigsten Motorräder, sprich: Unternehmen, einschließlich ihrer Fahrer/CEO’s für solche Manöver geeignet.

Dennoch werden viele Unternehmen von CEO’s geritten, die zwar (endlich) den Weg erkannt haben, sich aber gleichzeitig für den Valentino Rossi der Unternehmensführung halten und nun mit maximaler Geschwindigkeit und Schräglage durch den Change brausen wollen. Mit viel zu viel Speed und zu wenig Gefühl für die Belastbarkeit des Unternehmens (mit anderen Worten: mit zu wenig ‚Popometer’) reißen sie wild an selbigen herum und destabilisieren das ganze System. Die Folgen sind so spektakulär wie gefährlich.

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Was ich hier für das Motorrad beschreibe, können sie nun 1:1 auf’s Unternehmen übertragen:

Haben sie bei der Kurvenfahrt zu viel Geschwindigkeit, treibt es Sie ans Kurvenäußere. Sie machen einen Abflug in oder über die Bankette.

Der gefährlichste Abgang ist der ‚Highsider’. Je extremere Kräfte wirken, desto anfälliger ist das System ‚Motorrad’ für Fremdeinflüsse. Ein kurzer Impuls, der die nach unten gerichtete Kraft (die das Motorrad in die Schräglage zwingt) unterbricht, kann bewirken, dass sich das Motorrad schlagartig aufrichtet und den Fahrer abwirft.

Schließlich gibt es noch den ‚Lowsider’. Er kommt zustande, wenn die Reifen aufgrund der extremen Schräglage die Haftung verlieren. Sie fallen dann nach innen und schlittern über die Strecke.

 

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Fehler 4: Bremsen in der Kurvenfahrt

 

Nochmal zum ‚Highsider’… ebensolche grandiosen Unfälle provoziert auch, wer in schönster Schräglage bremst.

Im Unternehmen kommt es nicht selten vor, dass die Handelnden der Mut vor der eigenen Courage verlässt. Ziehen die Mitarbeiter mit? Mute ich Ihnen zu viel zu? Übertreibe ich es nicht? Ist es gar zu viel des Richtungswechsels? Habe ich nicht doch zu viel ‚Schräglage’? Bin ich zu schnell? Wie geht es nach dem Change weiter? Und überhaupt, das Ausbrechen aus der Gewohnheit, das Risiko, das etwas widernatürliche Gefühl der Schräglage lässt sie erinnern, wie kommod es doch geradeaus ging.

Manch einer greift in Selbstzweifeln zur Bremse. Ein denkbar schlechter Gedanke…

Die Kunst des Change ist es – wie beim Kurvenfahren – ein labiles Gleichgewicht der Kräfte zu meistern. Das Gleichgewicht wird mit dem Bremsen gestört. Was wird Mitarbeitern signalisiert, denen ich eben noch die Anstrengungen des Change aufgebürdet habe: ‚Ach, war doch nicht so gemeint…?!’ Halt, zurück!’ Kein Wunder, wenn die dann bockig werden… und die Kunden, Zulieferer usw. womöglich gleich mit.

Wenn man dieses Signal auch noch zum ungünstigsten Zeitpunkt setzt (oder auch deswegen), dann nämlich, wenn der ‚emotional cycle of change’ gerade seinen Tiefpunkt durchläuft [vgl. Link zu Dezember-Artikel], dann fällt das Signal auf fruchtbaren Boden: „Ich hab ja von Anfang an geahnt, dass das nix wird!“

Wenn man tatsächlich merkt, dass man ‚zu viel Kurve’ fährt, muss man Schräglage weg- und ein wenig Gas hinzugeben.

 

Ein seltenerer, aber ein nicht weniger unrühmlicher Weg, sich auf die Nase zu legen, ist, die andere Seite des Kräftegleichgewichts zu vernachlässigen. Wenn der Change ausgearbeitet aber nicht vollzogen wird, dann ist das ein wenig, als wollten sie mit voller Schräglage, aber im Schneckentempo, um die Kurve. Sie fallen schlichtweg um.

 

 

Fehler 5: Fahrzeugzustand und die Angst des Beifahrers

 

Kommen wir zur mit Abstand häufigsten Change-Führungsfehlerkombination. Vergessen wir nicht, wir fahren einen (oder auch mehrere) gewichtigen Passagier mit uns herum, der wenig sieht und wenig Ahnung vom Motorradfahren hat.

 

Doch der wird schlicht ignoriert.

Manche sind ja in pathologischer Manier auf irgendwelche Kennzahlen fixiert oder schielen nur nach dem gut dotierten Siegerpodest. Solche machen vorher eher noch mal Getöse und drehen den Motor in den Begrenzer, um Sponsoren (Shareholder) anzulocken. Sodann wird dann im Brustton der Überzeugung dargelegt, mit welchem Winkel, welcher Geschwindigkeit und welchem Fahrzeuggewicht man gleich um die Ecke zu flitzen gedenkt und wie man alle anderen damit abhängt. Das klingt rational ganz gut… Reifenzustand? Motorschmierung? Kettenverschleiß? Interessiert nicht, dafür gibt’s ja irgendwelche Spezialisten und Warnlämpchen. Die Warnungen der Mitfahrenden? Memmen, die soll’n sich mal bloß nicht so anstellen. Irgendwie sind wir noch immer um’s Eck gekommen. OK, letztes Mal hatte sich die Bremse verzogen, der HR-Chef musste sich danach übergeben, der Betriebsrat schimpfte wie ein Rohrspatz und der Vertriebsleiter ist gleich hinten runter gefallen. Aber na ja, Schwund ist immer. Vielleicht sind’s auch Burn-Out-Persönlichkeiten.

 

Meistens aber werden Mitfahrer außer Acht gelassen, weil man unterstellt, Motorrad und Beifahrer dächten ähnlich wie der Fahrer, reagierten wie er, machten deshalb die gleichen Bewegungen wie er. Falsch gedacht.

Der Beifahrer kennt die Strecke nicht und bekam nicht gesagt, wie er sein Gewicht verlagern soll. Damit sind Gefährt und Mitfahrende nicht auf wilde Kurvenfahrt vorbereitet. Ein unerfahrener Sozius mag keine Schräglage, sie ist unnatürlich und ungemütlich. Noch dazu, wenn er nichts sieht und sich ausgeliefert fühlt – er wird sich der Schräglage intuitiv entgegenstemmen, das Gewicht falsch verlagern, er will zurück in die stabile Geradeausfahrt. In ihnen wirken Beharrungskräfte bzw. das Trägheitsmoment.

 

Wenn sich der Sozius aber asynchron zum Fahrer verhält, dann stört das das empfindliche Kräftegleichgewicht. Es macht die Fahrt unsicherer, den Bogen unsauberer, bringt Schwingungen ins System, die sich Aufschaukeln können.

Noch schlimmer wird’s, wenn er es mit der Angst zu tun bekommt. Dann wird ihm übel. Aus Übelkeit wird Unmut. Irgendwann wird er nicht mehr mitmachen. Er wird nicht mehr davor warnen, dass die Reifen an der Haftungsgrenze sind. Er wird aus Trotz vielleicht sogar den Motor sabotieren. Oder er wird selbst ins Fahrgeschehen eingreifen wollen.

 

Was also braucht es, um das zu vermeiden? Synchronität! Und das wiederum braucht Vertrauen. Die gute Kurvenfahrt beginnt mit einem vertraulichen Gespräch zwischen Fahrer und Sozius. Es beginnt auf der emotionalen Seite! Bilden Fahrer und Sozius eine Einheit, fühlt sich auch das ‚Popometer’ viel besser an, das kann ich Ihnen aus Erfahrung sagen.

 

Natürlich braucht es für jeden Change ein Ziel und eine Strategie.

Die Basis aber, das essentielle Handwerkszeug, sind Vertrauen und Einsicht der Mitarbeiter – das ist mithin keine optionale Bedingung, sondern eine prinzipiell notwendige!

Zwar auf allen Ebenen!! Und damit ist es eine Frage der Unternehmenskultur.

 

 

Folgen

Die Folgen auf dem Motorrad sind schon zahlreich angedeutet…

Und was heißt das im Unternehmen? Eine umfangreiche Untersuchung von Capgemini ergab, dass rund 50% – ich wiederhole: jeder zweite – aller Change-Prozesse ein glatter Flop sind. Weitere 30 bis 40% gelten als ‚so lala’, also Interpretationssache oder bestenfalls Teilerfolg. Mit anderen Worten: ganze 10% bringen den vollen Erfolg! Das ist beschämend! Und dennoch stellt sich kein Lerneffekt ein, die Zahlen stagnieren auf diesem hohen Niveau.

Wären bei Motorradfahrern solch viele (Beinahe-)Unfälle bekannt, es wäre spätestens übermorgen verboten.

Werden im Change-Prozess grobe Schnitzer gemacht, sind Produktionsrückgänge um 25% nachgewiesen – wohlgemerkt im Durchschnitt und nicht als Spitzenwert. Da kann sich der eine oder andere schon mal nach der Rufnummer des Insolvenzverwalters erkundigen.

 

Die ungewollte Personalfluktuation steigt parallel um 11% im Schnitt. Und wer verlässt das Unternehmen? Es sind überwiegend die Leistungsträger, die ihren ‚Marktwert’ kennen. Eine andere Untersuchung spricht sogar von 13,2%. Natürlich gibt es auch bei einem gut begleiteten Change-Prozess ungewollte personelle Abgänge. Allerdings liegt der Wert mit rund 6,7% um fast die Hälfte darunter.

Anscheinend geht es vielen Unternehmen immer noch sehr gut, dass sie glauben, sich solche Fisimatenten erlauben zu können.

 

Beispiele

 

Osram:

„Bei Osram wird es zappenduster“ titelt das manager magazin. Bei der Lektüre werden sie fast alle Möglichkeiten wieder erkennen, wie sie mit schlechtesten Voraussetzungen in die Kurve gehen.

 

Bilfinger:

Hier hat es den Fahrer, Roland Koch, schon rauskatapultiert. Hier finden wir vor allem Fehler 3 und 5 in Reinkultur. Das Unternehmen wird umgebaut und noch in der Kurve wird willkürlich beschleunigt („Irgendeiner hat sich in den Kopf gesetzt: Power macht zehn Prozent“). Dem Fahrer fehlt der Kontakt zum Motorrad („Planzahlen werden autoritär durchgedrückt“), während die Reifen quietschen und der Motor brüllt, nachdem man das Öl zwecks Gewichtsersparnis abgelassen hat (Personalabbau).

 

Volkswagen:

Da soll die Effizienz-Kurve genommen werden. Dazu holte man sich dort einen Helfershelfer (McKinsey), der sich klammheimlich zwischen Fahrer und Beifahrer klemmt. Er flüstert dem Fahrer ins Ohr, wo’s langgeht, richtet dessen Blick stoisch auf das Effizienztachometer aus, spielt selbst am Gashahn rum und schaut auch schon mal, welche Bauteile man über Bord werfen könne, um noch etwas schneller zu werden.

Und Herr Winterkorn wundert sich ernsthaft, wenn sein Betriebsratsvorsitzender Gift und Galle spuckt, weil der von der plötzlichen Schräglage überrumpelt wird?

All die Effizienz, die er mit seinem Programm rausholen will, hat er doch schon vorher mangels ‚Popometer’ (vulgo: mit dem Arsch) eingerissen, indem er Betriebsrat und Mitarbeiter gegen sich aufbringt. Nur gut, dass VW relativ viel Auslaufzone auf der Strecke hat, dazu (staatliche) Stützräder und ein halbwegs funktionierendes Stabilitätsprogramm.

Nachdem die schöne Motorrad-Marke Ducati inzwischen zum VW-Konzern gehört, möchte man Herrn Winterkorn nahe legen, sich eine zu besorgen. Einige Fahrstunden tragen vielleicht zur Abkühlung seines – wie man so hört – bisweilen recht aufbrausenden Gemüts bei. Und um aus den monokausalen Denkmustern, in denen er derzeit gefangen scheint, auszubrechen, ist die Übung mit dem Motorrad sicher hilfreich. Die Erfahrungswerte wären ein schöner Prolog für einen anschließenden Change-Fahrkurs.

 

 

Fazit

Ein Ziel, eine Strategie und die reine Veränderung irgendwelcher Prozessabläufe reichen nicht aus, aus um einen erfolgreichen Change zu absolvieren.

Dazu braucht es – ja, ich wiederhole mich – ein geübtes ‚Popometer’. Dazu muss ich emotionale Seite der Beteiligten kennen, Ihren ‚Zustand’, Ihre Motive und ihre Beziehungen untereinander.
Was es heißt, einen Change erfolgreich anzugehen, kann ich an dieser Stelle nur andeuten: kommunizieren, Vor- und Einwände ergründen, Veränderung mit organisieren, Mitarbeiter coachen und entwickeln, anstatt willkürliche Zielvereinbarungen zu dekretieren.

Alles Themen, die für mehrere Artikel reichen – aber es hat ja niemand behauptet, Change wäre einfach, es heißt ja, ein labiles Gleichgewicht zu halten. Für das bloße Geradeausfahren werden die Führungskräfte ja nicht so gut bezahlt.

 

Think about it.

 

[1] Da ich wie gesagt kein Physiker bin, verweise ich in der Frage „Warum das Motorrad bei Kurvenfahrt nicht umfällt“ auf das Internet.

Noch eine Artikel-Empfehlung zum Thema Strategie: http://www.wiwo.de/erfolg/management/beruehmte-letzte-worte-gute-vorsaetze-sind-schlechte-strategien/9298562.html