Reklamation als Chance

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oder: Der Kundenflüsterer als USP gegen das Internet

Wer Recht hat, soll auch dafür kämpfen…meinen viele Kunden und Verkäufer. Wenn es zu Reklamationen im Einzelhandel kommt, sind Eskalationen damit programmiert. Falls sich das Problem nicht sofort beheben lässt und der Kunde deshalb seinen Unmut äußert, verliert der schöne Satz, dass der Kunde eigentlich „König“ ist, oft in Sekundenschnelle seine Macht. Im Extremfall besteht das Resultat in Diskussionen, in denen der Verkäufer seinen Part in Sätzen wie „Bitte nicht in diesem Ton!“ oder „Unsere Kulanz bei Reklamationen hat schließlich Grenzen“ ausspielt. Dass der Verkäufer durchaus Gründe für seinen eigenen Unmut hat, steht in vielen Fällen außer Frage. Ebenso sicher ist aber auch, dass er – auch, wenn er den Kampf gewinnen sollte – ab sofort einen Kunden weniger hat und vielleicht sogar die Reputation des Unternehmens leidet.

Stationärer Einzelhandel gegenüber dem Internet in der Defensive?

Das Problem im Hintergrund: Selbst bei hochwertigen und/oder erklärungsbedürftigen Produkten hat der stationäre Handel in der letzten Dekade seine Alleinstellungsmerkmale in hohem Maße eingebüßt. Der mündige Kunde mag sich zwar auch heute noch über eine qualifizierte Beratung und andere Serviceleistungen des Einzelhandels freuen, bei Frustrationen hat er jedoch jederzeit die Möglichkeit, seine Produkte stattdessen online zu bestellen. In guten Online-Shops findet er eine große Auswahl an Produkten, die mit detaillierten Beschreibungen versehen sind. Rückgabe- und Garantierechte schützen ihn auch beim Online-Kauf vor Risiken. Außerdem profitiert er im Online-Handel oft von besonders attraktiven Preisen. Der generelle USP des Einzelhandels besteht angesichts der Internet-Konkurrenz vor allem darin, dass hier der Kunde nicht nur eine anonyme Bestelladresse, sondern in der persönlichen Kommunikation tatsächlich König ist.

Denkfehler bei Reklamationen – Umsatz- statt Kundenorientierung

Viele Verkäufer fühlen sich bei Reklamationen persönlich angegriffen und denken gleichzeitig an ihre Umsatzziele. Den Reklamationswunsch des Kunden betrachten sie als „schädlich“ für ihre eigenen Umsatzziele sowie den unternehmerischen Erfolg der Firma. Der Kampf um „Recht und Unrecht“ ergibt sich oft direkt aus diesem Ansatz. Der Umsatz wird aus dieser Sicht zu einer „heiligen Kuh“, die auch in berechtigten Fällen um keinen Preis geschlachtet werden darf. Die Kundenorientierung tritt demgegenüber völlig in den Hintergrund.

Zudem entbehrt die reine Fokussierung auf den Umsatz gerade in Konfliktsituationen mit einem Kunden jeder strategischen Orientierung. Viele Unternehmen geben tausende von Euro für Marketing und Kundenbindung aus, um einen einzigen Neukunden zu gewinnen. Durch schlechtes Reklamationsmanagement verlieren sie viele dieser teuren Kunden wieder.

Coloures-Pic – stock.adobe.com

Kommunikatives Missverständnis zwischen Kunde und Verkäufer

In missglückten Reklamationsgesprächen besteht oft ein grundlegendes kommunikatives Missverständnis. Der reklamierende Kunde gibt dem Einzelhandel mit seiner Forderung die Chance, verlorenes Vertrauen wiederherzustellen. Der Verkäufer verteidigt seine eigene Position und nimmt dieses Ziel des Kunden überhaupt nicht wahr. Gleichzeitig versucht er, den Kunden zu erziehen oder die Situation auf einer rationalen Ebene aufzulösen. Die Botschaft, die beim Kunden ankommt: Der will mich nicht verstehen! Auf diese Wahrnehmung reagiert er früher oder später zu Recht verärgert. Auch der Verkäufer fühlt sich von der Gegenseite weder als Person noch als „Experte“ wahrgenommen – die kommunikative Konfliktspirale ist damit in Gang gesetzt und wird meist mit dem Abbruch der Kundenbeziehung enden.

Gutes Reklamationsmanagement: Instrument zur Kundenbindung

Versuchen Sie im Blick auf eine solche Situation einmal einen Perspektivenwechsel: Versetzen Sie sich in die Situation des Kunden und fragen Sie sich, wie sie selbst darin agieren und reagieren würden. Vermutlich werden Sie sehr schnell auf eine emotionale Ebene kommen, die von Vertrauensverlust und Verärgerung geprägt ist. Von Ihrem Gesprächspartner erwarten Sie, dass er Sie genau an dieser Stelle abholt – Verständnis signalisiert und Ihr Problem nicht nur mit seiner Ratio, sondern ganzheitlich erfasst. Wenn Sie in Reklamationsgesprächen in der Lage sind, einen solchen Positionswechsel zu vollziehen, schaffen Sie einen unverzichtbaren USP für Ihre Firma und für eine erfolgreiche Kundenbindung.

Verkaufstipps:

  • Jeder reklamierende Kunde ist eine Chance für das Unternehmen – eine erfolgreiche Reklamation stellt verlorengegangenes Vertrauen wieder her
  • Ein verärgerter Kunde greift Sie nicht persönlich an – er möchte, dass Sie in ihrer Rolle als Verkäufer seine Gefühle aktiv nachvollziehen
  • Emotion geht vor Ratio: Durch die kommunikative Änderung der Gefühlslage des Kunden von „negativ“ zu „neutral bis positiv“ schaffen Sie die Basis für eine rationale Lösung, „Erziehungsversuche“ sind dabei absolut verfehlt
  • Der Verlust des Kunden und der Image-Schaden, der Ihrem Unternehmen durch negative „Mund-zu-Mund-Propaganda“ entsteht, sind sehr viel teurer als der Verlust eines einzelnen Produktes
  • Durch gutes – und emotional fokussiertes – Reklamationsmanagement schaffen Sie für Ihr Unternehmen einen USP, den das Internet trotz aller „Attraktionen“ nicht zu bieten hat

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