Wodurch Verkäufer zu Top-Verkäufern werden

Werbeleute haben oft einen recht arroganten Blick auf den Vertrieb. Der „hässliche kleine Bruder des Marketings“ hat bei den Kreativen alles andere als ein Glamour-Image. Die Realität in den Unternehmen sieht indessen anders aus: Vertriebsexperten und Verkäufer sind begehrtes Personal, um dessen Gunst die Firmen werben – und an dessen Leistungskraft ihr Markterfolg gebunden ist. Die Rolle von Verkäufern hat sich in der letzten Dekade angesichts kritischer Kunden, schärferer Compliance-Regeln und der Wettbewerber aus dem Internet grundlegend gewandelt. Einige Fallbeispiele und Analysen illustrieren, worauf es bei einem erfolgreichen Verkäufer heute ankommt.

Der „Handlungsreisende“ im 21. Jahrhundert – vernetzter Teamplayer und Berater

Herr Seller arbeitet als Verkäufer für ein mittelständisches Unternehmen, das mit seinen Produkten unter anderem handwerkliche Fachbetriebe beliefert. Seine Termine hat er vorab per Fax vereinbart. Über sein iPad hat er Zugriff auf die Vertriebsdatenbanken der Firma. Stammkunden überrascht er gern mit einem kleinen persönlichen Geschenk. Der erste Kunde an diesem Arbeitstag hat seine Bestellung schon vorbereitet – der Bestellwert liegt bei knapp 200 Euro. An dieser Stelle helfen Herrn Seller sowohl sein Expertenwissen als auch die seit langem tragfähige Beziehung zu seinem Kunden weiter. Nach einem Besuch im Lager des Betriebs weiß der Verkäufer, welche Bestände demnächst zu Ende gehen und welche Produkte der Handwerksmeister folglich dringend braucht. Am Ende tippt er Bestellungen für über 600 Euro in sein iPad – beide Seiten sind mit diesem Abschluss absolut zufrieden.

Um Feilschen, Rabattorgien und verbales Überzeugen ging es bei diesem Verkaufsgespräch an keiner Stelle. Herr Seller hat sich die Lagerbestände angesehen, sich nach aktuellen Projekten erkundigt und einige Produktempfehlungen gegeben. Nach dem Preis für die Gesamtbestellung hat sein Kunde am Ende nicht einmal gefragt. Durch seine Beratung hat ihm der Verkäufer Arbeit abgenommen und künftigen Stress durch mangelnde Bauteile verhindert – eine Win-Win-Situation für beide Seiten.

Heutige Verkäufer können nicht damit rechnen, dass ihnen ihre Ware aus der Hand gerissen wird, dazu ist die Konkurrenz sowohl in der realen als auch in der virtuellen Welt zu groß. Die Unternehmensberatung Roland Berger konstatiert, dass der Vertrieb seit rund zehn Jahren einen massiven Paradigmenwechsel durchmacht – und dass darauf weniger als die Hälfte aller Unternehmen vorbereitet ist. Verkäufer sind heute vernetzte Teamplayer, die ihren Kunden wichtige Beratungsleistungen bieten. Eine Vertriebsorganisation ohne digitale Basis ist seit langem nicht mehr denkbar. Gleichzeitig sind die Kunden – nicht zuletzt durch das Internet – klüger und mündiger geworden. Sofern es um B2B-Geschäfte geht, treffen Verkäufer auf einen professionellen und scharf kalkulierenden Einkauf. Die Vertriebs-Etats von Unternehmen sind im Schnitt inzwischen rund dreimal höher als die Marketing-Budgets – mit steigender Tendenz. Die Differenzierung von Unternehmen auf dem Markt erfolgt schon jetzt nicht mehr primär über Produkte, sondern vor allem über einen Vertrieb, der dem Kunden einen jeweils maßgeschneiderten „Added Value“ bietet.

Herr Seller aus unserem Beispiel ist Experte für einen solchen Zusatznutzen: Seine Kunden versorgt er nicht nur mit den gerade benötigten Produkten, sondern baut auf Wunsch auch deren komplettes Lager auf. Mit solchen Serviceleistungen treibt er die Umsätze seiner Firma beträchtlich in die Höhe.

„Projektmanager Kunde“ und „Consultative Selling“

Der aktuelle Trend ist unumkehrbar und nimmt die Unternehmen immer stärker in die Pflicht. Vor allem sind sie darauf angewiesen, ihre Zielgruppen so genau wie möglich zu analysieren und ihre Angebote immer spezifischer auf den individuellen Kunden zuzuschneiden. Dies trifft auch auf den einzelnen Verkäufer zu, der für nachhaltigen Erfolg seine Kunden kennen und dieses Wissen ständig aktualisieren muss. Moderne CRM-Systeme, zu denen die Vertriebsteams über ihre Mobilgeräte Zugang haben, machen aus Sicht der Consulting-Experten von Roland Berger den Markt auf der „Einzelkundenebene“ beherrschbar. Der Verkäufer wird dabei zum „Projektmanager Kunde“, der diesem statt Lösungen oder Produkten Erkenntnisse verkauft, die idealerweise wiederum den Kauf von anderen Dingen nach sich ziehen. Die Anforderungen von Firmenkunden fasst Holger Dannenberg, Sales-Spezialist und Chef der Unternehmensberatung Mercuri International, so zusammen, dass moderne Unternehmen auf der Suche nach „strategischen Kernlieferanten“ sind, deren Vertriebsexperten ihnen als eine Art „ausgelagerte F&E-Abteilung“ die aktuellen Markttrends spiegeln. „Consultative Selling“ ist vor diesem Hintergrund das Zauberwort der Stunde.

Verkäufer: Vom „Jäger“ zum „Farmer“

„Traditionelle“ Vertriebsmitarbeiter finden sich in diesem Verkäuferbild allerdings kaum noch wieder. Erfolgreiche Verkäufer agieren intern und unternehmensübergreifend in einem Netzwerk aus ganz unterschiedlichen Bereichen – beispielsweise IT, Logistik, Forschung und Kundenservice. Parallel dazu setzen sich auch im Vertrieb Standardisierung und digitale Steuerung von Prozessen immer stärker durch. Für ihre Arbeit benötigen Verkäufer heute außerdem strategischen Weitblick, was bedeuten kann, dass es keineswegs um einen schnellen Abschluss, sondern den Aufbau einer nachhaltigen Kundenbeziehung geht. Der frühere „Jäger“ wandelt sich vor diesem Hintergrund immer mehr zum „Farmer“. Besonders deutlich wird dies im medizinisch-technischen Bereich: Die Key Account Manager von Philips Healthcare sind vor dem Verkauf eines Computer- und Magnetresonanztomografen für ihre Kunden beispielsweise über mehrere Jahre Ansprechpartner für die gesamte Planung. Ihre Rolle besteht darin, das Geschäftsmodell des Kunden zu verstehen, seriöse Kalkulationen zu erstellen und die Arbeit aller Beteiligten zu koordinieren. Bei der Entwicklung von maßgeschneiderten medizinischen Geräten sind sie zum Teil direkt in die Forschungsprojekte ihrer Kunden involviert. Gleichzeitig bekommen auch die High-Tech-Seller den wachsenden Kostendruck zu spüren – in den Worten von Mathias Weigel, dem Deutschland-Chef von Philips Healthcare: Erfolgreiches Verkaufen bedeute nicht zuletzt, dem Kunden „Qualität und Nutzen in Euro“ zu übersetzen.

„Authentizität, Orientierung und Beratung“ – Direktvertriebe boomen

Auch im Privatkunden-Segment ist der kritische Kunde immer öfter anzutreffen. Die treibende Kraft dafür ist das Internet, in dem er alle Informationen finden kann, die er für eine fundierte Kaufentscheidung braucht. Direktvertriebe sollten vor diesem Hintergrund eigentlich besonders schlechte Chancen haben. In der Praxis machen sie – wenn sie die Bedürfnisse ihrer Kunden kennen und seriöse Produkte anzubieten haben – oft die gegenteilige Erfahrung.

Der Allfinanzanbieter DVAG hat sein Geschäftskonzept seit knapp 40 Jahren nicht verändert: Konservative Produkte, persönliche Beratung, Kundenbeziehungen, welche die Verkäufer unabhängig von der Größe eines Abschlusses aktiv pflegen. Den Beratungsleistungen vieler Banken ist der DVAG-Vertrieb damit deutlich überlegen – das Unternehmen befindet sich ganz klar auf Wachstumskurs. Auch in anderen Bereichen – von Tupperware bis zum Staubsauger-Experten Vorwerk – boomt der Direktvertrieb. Die Umsätze im klassischen Haustür- und Partygeschäft sind seit 2007 pro Jahr um jeweils elf Prozent gewachsen.

Jochen Clausnitzer, Geschäftsführer des Bundesverbandes Direktvertrieb, ist überzeugt, dass sich viele Menschen als Alternative zu anonymen Online-Shops wieder „Authentizität, Orientierung und Beratung“ durch echte Menschen wünschen. Gleichzeitig definieren viele Direktvertriebe ihre Strukturen von Grund auf neu: Den klassischen Verkauf beim Hausbesuch ergänzen stationäre Shops und eCommerce. Ohne Multi-Channeling kommen im Geschäft mit privaten Kunden heute nur noch wenige Unternehmen aus. Die Herausforderung für die früheren „klassischen“ Direktvertriebe oder Einzelhändler besteht nun darin, die verschiedenen Kanäle auf optimale Weise zu vernetzen.

Praxistipps:

  • Erkennen Sie die Bedürfnisse und Probleme Ihrer Kunden und bieten Sie ihnen nicht nur Produkte, sondern Lösungen und weiterführende Erkenntnisse an.
  • Eine erfolgreiche Vertriebsorganisation benötigt klar definierte Strategien und Prozesse. Der Zusatznutzen für den Kunden durch Beratung und maßgeschneiderten Service steht dabei im Mittelpunkt.
  • Als moderner Verkäufer agieren Sie de facto als „Projektmanager Kunde“. Ihre Zielgruppe kennen Sie ebenso wie ihre individuellen Kunden so exakt wie möglich. Durch ihre Tätigkeit vernetzen Sie intern oder sogar unternehmensübergreifend verschiedene Bereiche.
  • Für Ihre Kunden agieren Sie als Experte und Beratungspartner.

Quelle:
http://www.spiegel.de/karriere/berufsleben/marketing-topseller-bei-der-arbeit-a-938380.html

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